Eselwanderung – auf dem Stevensonweg von Cheylard-l’Évêque nach La Bastide-Puylaurent

26.5.2016 – Der vierte Wandertag auf dem GR 70

Der Esel ist weg. Da steh ich nun mit meinem Lunchpaket und allen Taschen vor dem Hotel und wo ist Houdini jetzt schon wieder hin? Ich gehe einmal um’s Haus, dann nehme ich die Tüte mit dem Wiesenbussis, raschle laut, rufe mit zuckersüßer Stimme den Namen meines Esels und sofort ertönt ein IAhhh, sein Kopf schaut hinter einer Hausecke hervor und freudig kommt Nassis auf mich zugelaufen. Sage mal Langohr, freust du dich mich zu sehen, oder ist es die Leckerlitüte in meiner Hand? Ich gehe ihm einige Schritte entgegen und jetzt sehe ich, aus welcher Richtung er kam. Um Gottes Willen, schlagartig wird mir klar, was er über Nacht getan haben muß. Mir reicht ein einziger Blick auf den Vorgarten des Cafes, wo wir gestern eine kleine Pause machten, und ich beschließe, Cheylard besser gleich zu verlassen. Er hat die Zeit genutzt und alle jungen Triebe der angepflanzten Sträucher verbissen. Himbeeren, Johannisbeeren, nichts hat er verschont. Schnell packe ich ihm die Sachen auf den Rücken und dann machen wir uns eilig aus dem Staub. Rechts und links vor den Häusern fallen mir diverse Blumenkästen auf, die so merkwürdig leer und unmotiviert an den Zäunen hängen. Wer weiß, was er noch alles abgefressen hat? Aber ich will ihn nicht zu Unrecht beschuldigen. Das tut man auch mit einem Esel nicht. Mein Süßer läuft neben mir und selbst den Führstrick brauche ich nicht. Manchmal streichle ich ihn, wenn sein ständig pendelnder Kopf in meine Richtung schwingt und obwohl wir eine lange Etappe vor uns haben, bin ich frohen Mutes und atme tief, tief durch. Nach einer weiten Linkskurve überqueren wir zwei kleine Brücken, lassen das Forsthaus Maison forestière auf der linken Seite und nehmen den Steinweg, halten uns links und folgen den Markierungen auf dem Hauptweg. Der Weg ist leicht zu finden und inzwischen weiß ich, daß ein flacher Start in den Tag meinem Eselchen lieber ist als ein Weg, der sofort bergauf führt. Wir können also etwas Schwung holen, bevor wir auf den langen Anstieg treffen, der uns heute droht. Nach einem traumhaften Laubwald geht es hoch und gut kommen wir voran. Es ist ein kühler Morgen, Nassis scheint über Nacht so viel gefressen zu haben, daß es jetzt ganz ohne die andauernde Nascherei am Wegrand geht. Hin und wieder kommt ein Auto an uns vorbei, die Insassen winken und sehen dabei sehr fröhlich aus. Nach der dritten Fuhre begreife ich, was hier vor sich geht. Manche Wanderer lassen sich nach oben fahren und sparen sich auf diese Weise den langen Anstieg. Das Motto lautet: Zurück zur Natur, nur nicht zu Fuß. Ich überlege, ob ich das auch so machen würde, wenn ich ohne Esel wär. Dann beuge ich mich herunter und drücke meinem Esel einen Kuß zwischen seine flauschigen Ohren – kannst ruhig kurz anhalten und fressen. Wir machen einen kleinen Umweg, weil ich mir den Weiler Pradels anschauen möchte, gehen den Weg zurück und legen eine kleine Pause am wunderschön gelegenen See Lac de Louradou ein. Ein romantischer Picknickplatz mit einigen Tischen und Bänken und wenn es etwas wärmer gewesen wär, hätte ich auch schwimmen gehen können. Zügig erreichen wir zur Mittagszeit die alte Burgruine von LUC, wo wir wieder auf unsere vier lieben Damen treffen.

Luc 1

Nassis wird entladen und darf sich frei bewegen, ich koche mir einen Kaffee und spaziere durch die Überreste des Châteaus de Luc, welches seinen Namen dem lat. „Lucus“, einem heiligen Hain, verdankt und in der Region Gévaudan zu den am frühesten besiedelten Gegenden gehört. Im Forêt du Mercoire, einem Waldgebiet zu Ehren des Gottes Merkur, lebten keltische Stämme und ab dem 12 Jahrhundert fing man an, eine wehrhafte Burganlage an dieser Stelle zu errichten. Und kein Geringerer als Kardinal Richelieu, der Intrigant aus „Die drei Musketiere“ – es war die Zeit des 30-jährigen Krieges -, plünderte mit seinen Truppen die Burg und leitete damit den steten Verfall der Wehranlage ein. Aus dem großen Hauptturm, der wunderbare Ausblicke in die Landschaft bietet, wurde so um 1880 herum eine Kapelle, die von einer weithin sichtbaren Marienstatue geziert wird.

Luc 2

Mit Freude entdecke ich einige Mauerreste, die im Fischgrätenmuster-Stil verziert wurden, Simone, Annie, Lucette und Christine, die vier Wanderrinnen vom Abendbrot, bekommen ein Eselfoto und wir tauschen unsere eMail-Adressen,

Gruppenfoto mit Esel

Ich in Luc

Nassis wird wieder beladen und schon geht es weiter, rechts an der Burg vorbei ins Städtchen Luc. An einem Bistro mit Möhre (siehe Foto), wo die Besitzer grad selber Mittag essen und der ganze Raum entsetzlich nach Nierchen müffelt, gönne ich mir fix eine Erfrischung.

Möhre

Und was soll die Möhre bedeuten? Tankstelle für Esel? Nein, auch hier in Frankreich gab es mal eine Zeit, in der Zigarrenraucher ihrer Leidenschaft ohne großes Brimborium und ohne Humidore nachgingen. Da kamen die gekauften Zigarren in eine kleine Holzkiste und damit das Klima in der Kiste stimmt, legte man einfach eine Möhre mit zu den Zigarren hinein. Ein einfacher Trick, der bestimmt funktionierte und an den die stilisierten Möhren über wohl fast jedem Tabak- & Lottogeschäft noch heute erinnern. Leider nichts für dich mein Süßer. Wir laufen an Maries Haus vorbei und weil Stevenson den Weg so vorgab, folge ich den rot-weißen Markierungen über die Brücke und mache den ersten, richtig blöden Fehler. Was für ein bescheuerter Umweg. Ein Umweg, der nur Zeit kostet, der nichts bietet außer einem Aufstieg, der Möglichkeit die richtige Abzweigung in den Wald zu verpassen, vier völlig durchgeknallten Schäferhunden, einen in Panik flüchtenden Esel und einer langen Suche. Ich finde Nassis nach fast einer Stunde verängstigt im Wald, bin nun selber unkonzentriert und übersehe die schlechten, mißverständlichen Wegmarken, nehme den falschen Weg und führe uns auf der Straße zurück nach Luc. Der Zeitverlust beläuft sich auf gute drei Stunden und La Bastide ist noch ein ordentliches Stück entfernt. Glauben sie mir, vergessen sie in Luc mal kurz den Stevenson und biegen sie hinter der Brücke rechts ab.

WANDERTIP: Wenn sie das Städtchen Luc über den Wanderweg erreichen, werden sie das Haus/ Bistro mit der Möhre sehen, wo ich kurz Rast machte. Es liegt an der D 906, einige Meter hinter der Kreuzung an der sie nach rechts auf die D19 abbiegen. Unterhalb verläuft die D 19 und darunter eine Bahnlinie. Der Stevensonweg verläuft von dort aus weiter über die D 19 entlang der Bahnlinie und einigen Häusern. Sie unterqueren die Bahnlinie und stoßen nach einer Brücke über die Allier auf die Kreuzung D 192 nach links und D 19 nach rechts. Der Stevensonweg führt sie nach links und davon rate ich dringend ab. Folgen sie der D 19 auf der Straße gegen die Fließrichtung der Allier. Nach gut drei Kilometern kommen sie dort an, wo die anderen Wanderer (die den Stevensonweg nahmen) eine Stunde später aus dem Wald kommen werden. Biegen sie rechts über die kleine Brücke nach Labrot von der D 19 ab und schon sind sie wieder auf dem Stevensonweg. Aber Vorsicht! Die Wegmarkierungen auf diesem Streckenabschnitt sind nicht perfekt.

Sie wandern in Richtung Pranlac, kommen auf die D 76, überqueren die Gleise und eine Brücke, gelangen in das Dorf Laveyrune und folgen der D 154 in Richtung des Weilers Rogleton (HIER UNBEDINGT AUFPASSEN!) wo die nächste Hürde in Form eines kleinen Pfades wartet, der im Frühjahr und bei Regen für Esel nicht passierbar ist. Probieren sie es gar nicht erst aus! Bleiben sie auf der kleinen Asphaltstraße rechts und gehen sie an der nächsten Möglichkeit wieder links. Der kleine Umweg durch das Dorf wird ihnen viel Kummer ersparen und dem Esel im Ernstfalle die Knochen retten.

Was jetzt kommt ist nicht weiter der Rede wert. Die Straße zieht sich und es folgt ein schwacher, dafür langer Anstieg. Die Wegmarken des GR 70 sind schlecht zu sehen und man muß etwas aufpassen. Aber La Bastide-Puylaurent und die Herberge Grand Halte sind in greifbarer Nähe.

Wir schleppen uns die letzten Kilometer und Nassis braucht immer häufiger kleine Pausen. Doch pünktlich 19 Uhr erreichen wir nach zwölf Stunden unser Ziel.

La Grande Halte

Das Hotel hat auch schon mal bessere Zeiten erlebt, mein Zimmer riecht etwas feucht und so einiges scheint renovierungsbedürftig. Doch diese Dinge sind nicht wichtig, weil alles da ist, was wirklich benötigt wird. Der Esel ist gut hinterm Haus untergebracht und man hat sogar etwas Eselfutter da, das Abendbrot ist einfach und dennoch unglaublich lecker und anschließend schlafe ich wie ein Stein. Was will man denn mehr?

Wandertip: Wenn sie das Trappistenkloster NOTRE DAME DES NEIGES besichtigen wollen – ein Tourpunkt, der häufig für diese Etappe empfohlen wird – dann sollten sie diesen Umweg auf den nächsten Tag verschieben. Leicht können sie von La Bastide-Puylaurent aus dorthin gelangen. Lassen sie ihre Sachen und vielleicht auch den Esel im Hotel und nehmen sie den Besuch des Klosters als kleinen Morgenspaziergang, bevor sie sich auf den kürzeren Weg nach Chasseradès machen. Sie können aber auch die Übernachtung in La Bastide auslassen und stattdessen, so wie auch Stevenson, gleich im Kloster übernachten. Das wäre sogar noch schöner und das Hotel La Grand’Halte muß man nicht unbedingt besucht haben.

Tage 5 und 6 – Cheylard L’Eveque, La Bastide-Puylaurent und Chasserades

Cheylard L’Eveque 

Die Unterkunft im Refuge du Moure war allein die Reise wert, der Abend im Speisesaal mit all den anderen, freundlichen WanderInnen, mein Platz am Tisch mit den vier netten Damen (siehe Foto im vorangestellten Beitrag) das mehrgängige Menu und die schöne Lage des Ortes. Einfach nur zauberhaft. Am Morgen dann die erste Schrecksekunde des Tages: Ich gehe zur Koppel, Eselchen weg. Als wenn ich es schon geahnt hätte. Schlimmstes befürchtend gehe ich zurück ins Dorf, wo mir Nassis freudestrahlend entgegenkommt. Die gesammte Front des kleinen Cafes hat er verwüstet. Alles was dort angeplanzt war ist weg und kahl und leer. Voller Angst schaue ich mich um, nehme meinen Donkey am Ohr, bepacke ihn in windeseile und bevor das Dorf erwacht begeben wir uns auf die lange Etappe nach La Bastide-Puylaurent

Wir sind zuerst schnell unterwegs und erreichen nach kurzer Zeit schon das erste Etappenziel LUC. Das kommt von lucus (heiliger Hain) und die außerhalb des gleichnamigen Ortes gelegene Burgruine gehört zu den frühsten Besiedlungsorten des Gévaudan.

In Luc

Während des 30jährigen Krieges wurde die Burg geplündert (angeführt von einem Herrn, den wir alle wohl aus den 3 Musketieren kennen: Kardinal Richelieu.) Danach ging es stetig bergab mit der Garnison und später wurde der Haupturm, mit seiner Marienstatue weithin sichtbar, in eine Kapelle verwandelt.

Anschließend geht es ins Dorf LUC und dann weiter auf dem Stevenson Weg, was ein großer Fehler war. Wir latschen über einen Berg, der an der gleichen Stelle ankommt wie die viel leichter zu bewältigende Straße, lassen uns von vier völlig cholerischen Hunden (von denen es einer über den Zaun schafft) in die Flucht schlagen und obwohl ich beide Angreife abwehren kann, ist mein Nassis in seiner Not auf und davon in den Wald gestürmt, wo ich ihn nach gut einer Stunde suchen noch immer zitternd fand.

Danach haben wir uns einmal verlaufen und sind nach über zehn Stunden am Ziel in La Bastide-Puylaurent im Hotel La Grande Halte angekommen. Das Hotel klingt nach mehr als es ist. Doch für meinen Nassis ist bestens gesorgt, das Abendbrot ist absolut ok und ich sinke nur wenig später in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen zuerst ein Blick aus dem Fenster und siehe da, mein Houdini ist wo er hingehört, spitzt die Ohren und stimmt ein freudiges I Ahhh an. Ein Anblick der das Herz erwärmt. Es ist nicht das schicke Auto, was man vor dem Hotel parkte. Nein, es ist der Esel hinterm Haus.

Koppel La Bastide

Frühstück, striegeln, bürsten, Hufe pflegen, Satteldecke, Tragegestell, Packtaschen links und rechts, Leckerlis, Rucksack auf und los. Wir haben 4km Anstieg vor uns und auch wenn es nur ca. 12km sind, heißt das nicht, daß wir trödeln. Nach 2 Stunden sind wir oben auf dem Berg und machen ein Picknick. Der Esel wird entlastet, darf sich tummeln und ich zücke den Fotoapparat, gehe einige Schritte und höre das Geräusch einer Getränkedose, die zerknautscht wird. Ich fahre herum und sehe noch wie sich der Unhold meine letzte, blaue Dose RedBull mit seinen spitzen Lippen gegriffen hat. Da steht er nun da, Kopf nach hinten und läßt sich den Inhalt (ich wußte, es war ein Fehler, sie offen stehenzulassen) in den Hals laufen. Der schluckt nicht mal. Na warte Freundchen. Wer so was trinkt muß Leistung zeigen.

Es war noch ein schöner Spaziergang durch den Wald,

Waldbild1

die Wiese mit den Butterblumen, die alle gefressen werden wollen …

Auf Wiese1

und am Ziel in Chasserades, im wundervollen Hôtel des Sources, komme ich auch zu etwas Erfrischung und Ruhe.

Perrier Mint

Bis hier her.