Ein langer Nachtrag und ein Eselbaby zum Schluß.
Ich bin, Kopf und Herz voller Erinnerungen und Emotionen, wieder daheim in Berlin und bevor es in den kommenden Tagen und Wochen so nach und nach all meine Notizen als komplettes Tagebuch hier im Blog geben wird, gibt es heute (auch weil es mir selber Freude macht) die letzten drei Tage in Kurzform/ im Schnelldurchlauf.
Mijavols, bei Martin und Francis Chaptal zu Gast.
Ich habe von diesem Weg, der uns von Pont de Montvert nach Mijavols führt, nicht sehr viele Fotos, weil das Wetter so schlecht war und ich keine Lust zum fotografieren hatte. Vielleicht ist das erste Bild, welches meinen treuen Esel im Regenumhang zeigt, das beste, weil ehrlichste Bild des Tages, welcher mit Regen begann und endete – was sicher kein Grund zur Freude ist. Doch die Umstände, die mich am Zielort erwarteten, dürfen durchaus als Höhepunkt der Tour betrachtet werden. Auch wenn ich, dies sei nicht verheimlicht, einige Zeit brauchte, um mich darauf einzulassen.
Ich verlasse die Auberge des Cevennes mit gemischten Gefühlen. Mich ärgert die ausgeschaltete Heizung, mein Kleidung wurde über Nacht nicht trocken, mich störte der Kaffee in der Espressotasse aus der Mikrowelle, die Lieblosigkeit vieler Details, die einfach nicht zu diesem charmanten Haus, seinen wirklich netten MitarbeiterInnen und dem tollen Abendbrot paßten. Doch der Regen läßt mich schnell an den neuen Tag denken und ich weiß, wo es gestern noch runterging, wird es heute wohl auf der anderen Seite für ein gutes, schweres Stück bergauf gehen und Nassis läuft erstmal nicht besonders lustvoll. Mein Stöckchen kratzt hinter ihm auf der Straße und treibt ihn so vorsichtig an und oft ziehe ich ihn zurück auf den Weg, wenn er zu sehr am linken oder rechten Wegesrand frißt. Weiter und hoch und schneller bitte. Geh, geh, geh. Nach einer Stunde holt uns die erste Wandergruppe ein und heute mache ich mir diesen Umstand doch recht gern zu nutze, lasse Nassis kurz fressen und als echtes Herdentier mit Freude an der Gruppenarbeit läuft mein Esel zusammen mit den zahlreichen Wanderern ohne weitere Probleme bis auf die Hochebene, die aus satten Wiesen, großen Granitfelsen und Ginster zu bestehen scheint. Wolken ziehen knapp über und in den Tälern auch unter uns hinweg, ich halte mein Stöckchen über den Abgrund und pickse in den Nebel – es könnte Zuckerwatte sein. Sekunden später verirrt sich ein Wölkchen über unseren Weg, mein Nassis zieht den Kopf ein und für einen kurzen Moment tauchen wir ein in den Nebel, verschwindet die Landschaft um uns herum. Der Weg ist schön und führt uns schnell dem Ziel entgegen und der Regen setzt zum Glück immer wieder für längere Zeit aus. Nach einiger Zeit verlassen wir wieder den Stevenson Weg und biegen ab nach Mijavols, wo wir heute unterkommen werden. Alleine laufen wir weiter und ich freue mich über die Konzentration und Nähe zu meinem vierbeinigen Begleiter. Was stört mich der einsetzende Regen und kurz vor 15 Uhr sind wir in Mijavols. Das Haus auf der rechten Abhangseite wird es doch nicht etwas sein? Da hinten ein Dach mit Folie und Autoreifen abgedeckt macht mir Angst, niemand da, kein Mensch weit und breit und mit Entsetzen entdecke ich das Schild Gite d’étape. Vorsichtig drücke ich auf alle Türklinken, schaue in die vergammelte Scheune, lasse Nassis im Regen stehen, gehe ins Dorf und sehe auch hier keinen Menschen. Wo bin ich nur hingeraten, auf was ließ ich mich da nur ein? Meine Gedanken schwanken zwischen Wut und Verzweiflung, bis ein freundliches „hallo“ mich aus meinen fruchtlosen Gedanken reißt. Ein junger Mann mit Rucksack kommt des Weges, der drückt energischer auf die Türklinke, wir einigen uns auf englisch, 10 Minuten später brennt das Feuer im Kamin und wir kochen Tee und Kaffee, er teilt Brot und Käse mit mir, ich spendiere Nudeln mit Tomatensauce, gemeinsam erkunden wir die Unterkunft, entdecken saubere Toilette, Duschen, ganz einfache Betten, auf die wir unsere Schlafsäcke legen, einen Ölradiator der die nassen Sachen fix trocknet. „Ich bin übrigens Armand„. Auf dem großen Tisch liegt ein Zettel: Abendbrot um 20 Uhr bei Familie Chaptal unten im Dorf. Wir sitzen am Kamin und unterhalten uns, nach und nach kommen weitere Wanderer, es gibt immer wieder Tee und die Zeit vergeht viel zu schnell. Alles da, was ein müder, nasser Wanderer braucht und das Abendbrot im Wohnzimmer bei Martine&Francis wird mir unvergessen bleiben. Mit einer Schale besten Futters für Nassis gehe ich zurück zur Unterkunft. Danke, danke für die schöne Erfahrung.
Von Mijavols nach Cassagnas
5:30 stehe ich auf, schaue sorgenvoll in den Himmel, der stürmisch und regnerisch nichts Gutes für den angebrochenen Tag verheißt. Ich koche mir einen Tee, schleiche leise hinaus in den grauenden Morgen und nur Minuten später sind wir auf dem Weg zum nächsten Etappenziel. Ich entscheide mich wegen Nassis, seine Hufe machen mir Sorgen, für den kürzesten Weg, biege im Dorf scharf nach rechts auf die Straße, wir laufen unterhalb der Herberge wieder ein Stück zurück. Es ist eine kleine, unbefahrene Straße, der Weg führt ständig leicht abwärts, irgendwo im Tal rauscht ein Bach und wir sind allein für uns. Nassis trabt wie ein Hündchen neben mir her, nach wenigen Minuten hört der Regen auf und ich entdecke voller Freude die Schönheit des Weges, die Stille und Abgeschiedenheit. Schnell erreichen wir St. Julien Apron, werfen einen kurzen Blick auf die alte Burgruine und gehen weiter auf einem wunderschönen Weg, der früher mal eine Bahnlinie war.
Wandern im Tal der Mimente, die sich über kleine Wasserfälle teils rauschend zu Tale bewegt, dem Ziel entgegen. Die Sonne kommt durch und ich bin zuversichtlich, frohgemut.
12 Uhr sind wir schon am Ziel, weil Nassis teilweise so schnell lief, daß ich nicht mehr von Wanderung sprechen würde. Für ihn gibt es eine wunderbare Koppel und für mich einen Platz in einem Mehrbettzimmer. Das Espace Stevenson liegt toll gelegen im Tal der Mimente und steht (?) auf dem Platz eines alten Bahnhofs. Ich schaue mir die Hufe von Nassis noch einmal sehr genau an und beschließe die Reise hier und jetzt zu beenden. Es geht ihm gut, noch ist alles in Ordnung, doch jeder weitere Tag mit Last wäre ein Risiko und ich möchte meinen tierischen Freund nicht verletzten. Mit Lust und Laune futtere ich mich durch das Abendbuffet, schlafe aus, freue mich für meinen Esel, der einen kleinen Freund gefunden hat und warte auf Marie, die uns abholen wird. Ich habe nicht den Eindruck etwas zu verpassen, weil ich den Zielort gut kenne und wir die Route so oft variierten, daß dieser neue Schlußpunkt so gut wie jeder andere ist. Ein Tag Faulheit wird auch nicht schaden. Dann kommt sogar noch Armand vorbeigewandert und bevor er weiterzieht trinken wir zusammen Kaffee, tauschen unsere Adressen aus und verabschieden uns voller Herzlichkeit.
Tags darauf, ich hab grad die Koppel ausgemistet und das Stroh erneuert, kommt Marie mit einem Pferdetransporter – Sachen rein, ich vorn, Nassis hinten, auf dem Weg wird noch ein Esel eingesammelt und dann fahren wir zurück nach La Plagnal, sprechen über unsere gemeinsame Liebe zur Musik der Sinti und Roma (die ja auch viel mit Wanderung gemeinhaben) und zurück auf dem Hof entdecken wir die niedlichste Überraschung überhaupt – auf wackeligen Beinen steht ein kleines Poitou-Eselbaby da und blickt neugierig in die Welt. Marie freut sich riesig und welch schöneren Abschluß als dieses kleine Eselmädchen könnte es denn sonst für meine Reise geben.
Ich darf auch mal.
Mit Pizza und Rotwein feiern wir die kleine Eseldame, beschützt von Balu verbringe ich noch eine Nacht auf dem Hof von Marie und dann heißt es nach 13 Tagen und mehr als 240km von meinem Esel Abschied nehmen. Ich packe das Auto, hänge den Hausschlüssel Balu um den Hals (der sicherste Ort der Welt), stecke Nassis die letzten Leckerlis ins Maul und schnuppere noch einmal an seinem Kopf. Machs gut lieber Freund.
Das letzte Bild.