Eselwanderung – Auf dem Stevensonweg von Le Monastier-sur-Gazeille nach Le Bouchet-St.-Nicolas

23.5.15 – Der erste Wandertag auf dem GR 70

7:30 geht unten die Tür und Vick kommt ins Haus, ruft „Kaffee?“ mehr als retorische Frage und schiebt Balu, der über Nacht unten schlafen durfte, wieder vor die Tür, Marie führt Nassis in den Hänger, ich kann vor lauter Aufregung gar nichts essen und packe fix die letzten Sachen in die großen, grünen Gepäcktaschen. Mein Herz pocht wie wild. Das Wetter ist hellgrau und hier und da ein blaues Loch. Auf geht’s. Nicht ein einziger Zweifel fährt mit, ich bin in Gedanken schon unterwegs, versuche mir vorzustellen, wie wohl die ersten Kilometer verlaufen werden. Ich träume, während die Landschaft an mir vorübergleitet. In wenigen Tagen werde ich die Gegend zu Fuß durchqueren. Eine schöne, beruhigende Landschaft. Vick fährt mit dem Jeep und Anhänger voraus und wir hinterher. Es geht zum Startpunkt Le Monastir, wo wir 9:30 ankommen. Ich mache oben im Dorf am Place de la Poste noch ein Foto von der Gedenkplatte, die Stevenson zu Ehren hier angebracht wurde, und nur Minuten später lege ich unter Maries strengem Blick die Satteldecke auf, hebe Nassis das Tragegestell auf den Rücken, ziehe alle Gurte fest, hänge schnell nacheinander beide Tragetaschen dran, befestige die kleine Tasche mit den Esel-Notwendigkeiten dahinter, Führstrick, Vick macht einige Bilder

Start

und schon geht es los, den ersten, steinigen Berg hoch, hinein in den Wald. Der Weg gleicht stellenweise einem ausgewaschenen Flußbett und vorsichtig achte ich darauf, nicht auf lose Felsbrocken zu treten. Mein Esel kommt am Führstrick langsam hinterher und in mir keimt der Verdacht auf, ihn gestern flotter auf den Hufen erlebt zu haben. Ich ziehe mehr als ich will und getraue mich gar nicht anzuhalten, weil ich fürchte, der Eselmotor könne dann vollends zum Stehen kommen und möglicherweise nicht wieder anspringen. Derlei Befindlichkeiten sollten uns noch einiges an Kopfzerbrechen bereiten. Die ersten 200 Meter gehen ganz gut, weitere 100 lasse ich der Steigung wegen durchgehen, doch man soll den Tag nicht vor dem Abend, oder sich zu früh freuen, wie auch immer. Plötzlich steht das Vieh und ruckt sich nicht. Ich hätte mir für den Anfang etwas mehr Elan gewünscht, zumal ich der Meinung war, wir hätten dies gestern während der Probetour abschließend geklärt. Hilfesuchend blicke ich ins Tal, wo Vick gerade auf die Straße biegt und Gas gibt, aber Marie ist noch da und blickt uns nach, macht eine kreisende Armbewegung – er scheint zu wissen was kommt, unterschätzt jedoch meine Entschlossenheit – und ich … Ziehen hilft hier nicht, es geht bergauf und da hat dies nun gar keinen Sinn, für eine Drehung ist kein Platz und ich bin mir sicher, der Kerl weiß, warum er genau hier stehenblieb. Er weiß aber nicht, daß ich an ihm vorbei nach hinten kann und mit einem angedeutetem Tritt und dem lauten Ablassen kräftiger Flüche für flotten Marsch sorge. Ein zugegeben banaler Trick, doch weil alles was hinter ihm passiert sich seinen Blicken entzieht, entscheidet der Esel wie alle Fluchttiere sich unter solchen Umständen dann doch für das kleinere Übel und geht weiter, damit hinter ihm wieder Ruhe einkehrt. Marie winkt uns noch einmal zu und klatscht, wir laufen bergan und verschwinden nach wenigen Minuten im dichten Blätterwald. Ab jetzt bin ich auf mich allein gestellt, niemand da, der mir hilft und wir haben eine lange Etappe vor uns. Beständig geht es bergauf, der Weg ist eng und wir wechseln permanent die Seite, gehen mal rechts und dann wieder links am Wegrand, höher und höher. Bereits nach 20 Minuten träume ich von einem kleinen Abstieg und gucke immer wieder in den Wald, wohl in der Hoffnung auf den hellen Gipfelpunkt. Nassis wird langsamer und ich versuche es wieder mit ziehen. Der Weg ist zerklüftet und führt teils über hohe Stufen. Ich gehe voran, weise mit dem Führstrick den Weg und merke, daß mein Eselchen vor einigen Schritten stockt, überlegt und dann vorsichtig höhersteigt. Es sieht nicht so aus, als würde ihm gefallen, was wir da tun. Mir macht die Strecke so langsam Sorge, weil wir nicht vorankommen, selbst die Hälfte des Weges noch in weiter Ferne liegt und Nassis trödelt was das Zeug hält. Ständig frißt er junge Blätter und Gras, schnuppert an Hinterlassenschaften anderer Tiere, hält an und scheint nachdenken zu wollen. Nur worüber? Ein erster Wanderer holt uns ein und macht ein Bild von uns. Nein, mein Esel heißt nicht Modestine und ich bin nicht der Stevenson.

Nassis und ich

Die wenigen Häuser des kleinen Örtchens Le Cluzel nehme ich nur beiläufig war, für den Weiler Courmarcès habe ich keinen Blick übrig. Bloß nicht anhalten und verschnaufen. Wenn der Esel steht, dann steht er. Unter Mühen erreichen wir Saint-Martin-de-Fugères, gönnen uns eine kleine Pause und beginnen mit dem Abstieg nach Goudet, wo Stevenson einst zu Mittag aß. War schon der Aufstieg die Härte, so fällt der sehnsüchtig erwarte Abstieg noch schlimmer aus. Nassis zögert vor vielen Schritten und ich versuche ihm immer wieder zu helfen. Die Ladung verrutscht gefährlich weit nach vorn und irgendwann nehme ich ihm die Taschen ab und trage diese selber mehrere hundert Meter den Weg hinab. Eine Pause, die der Graue scheinbar dringend braucht. Ist der lungenkranke Stevenson wirklich diesen Weg gegangen? Ich laufe zurück und will den Esel holen, der vor einer hohen Stufe steht, alle vier Hufe in den Boden stemmt und sich nicht mehr rührt. Im Tal unten kann ich bereits die Brücke über die Loire sehen. Die Brücke, vor der Marie mich gewarnt hatte. Aus irgendeinem unerfindlichen Grunde hat Nassis wohl Hemmungen diese Brücke zu überschreiten. Was würde ich geben, wenn wir nur schon da unten wären. Sein neuster Trick sind kurze Strecken. Er läuft dreißig Meter um wieder stehenzubleiben. Dreißig Meter und halt und wieder dreißig Meter und Pause. Er treibt mich noch in den Wahnsinn und wie er begierig an jedem Pferdeapfel schnuppern muß. Ich will jetzt da runter und so langsam werde ich ärgerlich. Bergab bin ich dann doch der Stärkere und Nassis gibt endlich auf, folgt mir bis zu der Stelle, wo ich das Gepäck ablegte und läßt sich seelenruhig wieder beladen. Macht einige Schritte, stockt und dreht den Kopf. Mit Entsetzen sehe ich, was da auf uns zugetobt kommt und kann meinem flüchtenden Esel den Führstrick nur noch über den Rücken werfen. Ein Jungbulle hat uns entdeckt und stürmt wie ein wildgewordener Stier auf uns zu. Nassis macht einen Satz und galoppiert den Weg hinunter. Da schau mal einer an, wie flott mein Eselchen laufen kann. Nur ich sehe mit Sorge den dünnen Draht vor mir und bin mir nicht sicher, ob dieses wildgewordenen Rindvieh weiß, daß dieser Draht nicht wirklich ein Hindernis ist. Ich greife mir den erstbesten Knüppel und fuchtele wie wild damit herum. Mein Gott, im Größenvergleich könnte ich auch mit einem Streichholz winken. Der Kerl kommt in einer riesigen Staubwolke kurz vor dem Zaun zum Stehen, schnaubt und senkt die Hörner. Ich lande mit meinem Hölzchen einen Volltreffer auf seinem Schädel und nehme nun selber die Beine in die Hand. Noch einmal riskiere ich einen flüchtigen Blick zurück und sehe mit Genugtuung, daß mein Knüppel auf einem der Hörner steckt. Jetzt hat der abdrehende Jungbulle im wahrsten Sinne des Wortes ein Brett vor dem Kopf. Mistvieh. Nur wo ist mein Esel? Ich sammle einige Gepäckstücke auf, die er wohl bei der rasanten Flucht verloren hat und nach zwei Biegungen sehe ich ihn friedlich grasend auf dem Weg stehen. Nach diesem Schreck brauche ich selber eine Pause und dann zeige ich dem Esel wer der Herr ist. Genug gefressen und pausiert, der steile Abhang ist mein Vorteil und nach reichlich vier Stunden Wanderung haben wir die Hälfte der Strecke geschafft und sind sogar ohne Zögern über die Brücke in Goudet. Hier hat der Kerl wohl schon so manchen Wanderer zur Verzweiflung gebracht. Doch ich habe ein Ziel und denke an den Weg hinter der Brücke. Läuft die Angst mit, zögert man selber, nutzt das Eseltier dies gnadenlos aus. Ich schreibe Marie eine SMS, vermelde einen ersten, kleinen Erfolg, mache ein Foto von Nassis und der Ruine des Château de Beaufort im Hintergrund, atme tief durch und schon geht es weiter.

Goudet

Reisetip 1 für Wanderer mit Esel: Vergessen sie diesen ersten Abschnitt von Le Monastier nach Goudet. Beginnen sie ihre Wanderung hier an der Brücke über die Loire. Sie verpassen nichts, rein gar nichts und sie sparen sich eine wirklich schwierige, kraftraubende Strecke. Wer vor der Reise noch keine Erfahrungen mit Eseln gemacht hat, wird sonst vielleicht aufgeben wollen. Glauben sie mir. Rückblickend betrachtet ist dieser erste Abschnitt – der zudem in die Eingewöhnungsphase fällt – der schwierigste Abschnitt der Tour.

Wir folgen den Markierungen für den Stevensonweg, bleiben kurz auf der Hauptstraße D49, nehmen eine weitere, steile Steigung und erreichen schon bald das kleine Örtchen Montagnac. Die Wegmarkierungen sind meistens gut zu sehen und bis auf wenige Hinweise zu plötzlichen Richtungswechseln auch eindeutig. Wir überqueren die D54, laufen weiter auf unserem Pfad, treffen am Ortseingang von Ussel erneut auf die D49. An dieser Stelle muß man etwas aufpassen, weil es kurzzeitig über die D491 geht. Die leicht zu übersehende Rechtsabbiegung nach dem letzten Haus führt auf einen recht breiten Erdweg, bevor man nach einer weiteren Rechtskurve einen Grasweg auf der linken Seite einschlagen muß. Im Sommer sollte man unbedingt am Wasserreservoir halten und dem Tier die Möglichkeit geben zu trinken. Es ist ein schöner, leichter Weg und nach dreißig Minuten sind wir endlich in Bargettes. Nassis tut mal wieder so, als könne er nicht mehr, doch in Wahrheit bin ich es, der auf dem Zahnfleisch kraucht. Aber ein Ass habe ich noch im Ärmel und das spiele ich jetzt aus. Esel mögen es nicht, wenn sie von hinten drangsaliert werden und damit fange ich jetzt gnadenlos an. Sein Pech, daß er hinten nicht gucken kann und sein Ohren gaukeln ihm nichts Gutes vor. Mir egal, der mitgenommene Regenschirm klapp und klappt, leicht berühre ich ihn an den Beinen und schon beginnt mein Eselchen den flottesten Galopp. Der Führstrick ist überflüssig, ich laufe schimpfend und fluchend, laut rufend wie ein Eseltreiber hinterher, klappere mit dem Regenschirm und ohne große Probleme schaffen wir die letzten 5km bis zum ersten Quartier der Auberge du Couvige in Le Bouchet St. Nicolas in einer Stunde und 20 Minuten.

Nassis kommt auf die Weide, welche in einiger Entfernung hinter der Herberge liegt, ich beziehe ein wirklich wunderbares Zimmer, nehme eine heiße Dusche, dann folgt ein mehrgängiges Menü der Spitzenklasse und noch während ich dies schreibe, fallen mir die Augen zu. Ich träume, denke noch einmal an das tolle Essen – es gab Salat und eine Terrine, Grüne Linsen (ganz typisch für die Gegend) in Sahnesoße, Wild in Rotwein mit Möhrchen und bis zur Käseplatte bin ich wegen Freßnarkose gar nicht mehr vorgedrungen – und schlafe wie ein Stein, trotz Kaffee, ein.

Kurze Statusmeldung – Tag 1&2 – Nassis und Erik auf Tour

Le Monastier sur Gazeille, Goudet, Bouchet St. Nicolas

Wir haben uns zusammengerauft und er war ein dickköpfiger Gegner. Doch nun steht fest, wer Esel und wer Boss ist. Wir hatten stehenbleiben, flüchten, alle 20 Meter anhalten, rückwärtslaufen, trödeln, schleichen, schnaufen, das volle Programm und ich habe zu keiner Minute mein Ziel aus den Augen verloren. Ich habe ihn durch steile Abhänge und schwierige Aufstiege geleitet, manchmal auch getrietzt, ich habe ihn vor Hunden beschützt und ihn sicher im Straßenverkehr geleitet. Jetzt verläßt er sich auf mich und heute haben wir 30km geschafft.

Startbild in Monastir

Das erste Bild. Fünf Minuten später waren wir auf uns allein gestellt.

Bouchet St. Nicolas – Langogne

Inzwischen sind wir ein Team. Nassis hat akzeptiert, dass er mir folgen muß und er vertrat mir. Ich habe ihn auch nicht mehr kurz am Führstrick sondern laufe mit einem langen Zweig wedelnd hinter ihm her (wenn er trödelt) oder bin neben ihm und er folgt mir wie ein Hündchen. Dafür lasse ich ihn fressen was er will und er frißt permanent. Er beherrscht die Kunst des fressenden Laufens oder wohl eher umgekehrt und hinterläßt dabei eine Spur der botanischen Verwürstung. Ihn im Cafe am Zaun anzubinden war ein Fehler, weil die Blumenkästen jetzt wieder kahl sind und die beiden Rosenstöcke rechts und links der Tür vor dem nahegelegenen Touristenbüro werden dieses Jahr wohl keine Blüten tragen – alle Knospen und die jungen Triebe, alles abgefressen. Wie, sie hatten da auch einen Kübel mit Ziergras? Können sie das beweisen? Ich seh da nichts mehr. Na bei Gras macht mein Esel keine Unterschiede … aber das da, das können sie gut als Dünger für den zweiten Ziergrasversuch benutzen. Nichts für ungut, aber wir müssen jetzt weiter. Eilig verlassen wir Pradelles, ein Ort, der unglaublich schön gepriesen wird. Mein Esel hat alles ruiniert.

Im Cafe

Mehr gibt es erstmal nicht zu berichten. Ich bin in wunderbaren Hotels untergebracht, werde mit mehrgängigen Menüs verwöhnt und wenn ich heute aus dem Fenster schaue, sehe ich meinen Grauen auf der Weide. Was könnte es schöneres geben und morgen ist es nur eine kurze Etappe von 15 km. Da sind wir zum Mittagessen mit durch.