Eselwanderung – eine Variation des Stevensonwanderweges von Chasseradès nach Le Bonnetès

28.5.16 – Der sechste Wandertag auf dem GR 70 

Nassis hat einen schlechten Tag und trödelt unglaublich rum. Ich habe etwas Angst vor der Strecke, weil wir den Stevenson-Weg verlassen werden und dann wirklich auf uns alleine gestellt sind. Keine anderen Wanderer, an denen wir uns orientieren könnten und das heutige Ziel liegt deutlich abseits der markierten Strecke. Zudem soll das Wetter schlechter werden und all zu oft schon habe ich erlebt, wie verheerend sich Starkregenfälle und Gewitter im französischen Zentralmassiv auswirken. Innerhalb von dreißig Minuten wird aus einem blauen Himmel ein graues, stürmisches Regenungetüm, was kleinste Bäche in kürzester Zeit in tosende Flüsse verwandelt und weil der Boden diese Wassermassen nicht so schnell aufnehmen kann, wälzen sich Sturzbäche über Wiesen und Felder abwärts ins Tal. Um ehrlich zu sein, beunruhigen mich die Vorhersagen und ich fürchte, daß es mit den schönen Tagen vorbei sein wird. Aber erstmal scheint noch die Sonne und weit haben wir es heute wirklich nicht. Vom Hotel „Les Sources“ bis in den Ort Chasseradès laufen wir gemütlich am Straßenrand und ich betrachte mit einiger Neugier den Schneeverwehungstunnel der Bahnstrecke. Diese Tunnel werden immer dort angelegt, wo die Gleise durch eine Senke oder Mulde führen und damit sich im Winter nicht der Schnee im tiefliegenden Gleisbett ansammelt, werden die Gleise besonders ungünstig gelegener Streckenabschnitte mit einem Tunnel überbaut. Das Örtchen Chasseradès ist hübsch und bietet einige Möglichkeiten für ein gemütliches Frühstück und ich überlege, ob wir zeitlich hinkommen würden. Nassis hat sich direkt vor den Bäcker gestellt und scheint nur darauf zu warten, daß ich ein Stückchen Croissant ausgebe. Na gut du oller Freßsack, aber nur ein kleines Stückchen. Ich sollte dir lieber einen Espresso spendieren. Die ersten Wanderer brechen zu ihren Touren auf, die Taxifahrer laden das Gepäck in ihre Autos und Nassis hat mehrere Fototermine mit fremden Leuten. Hier anzuhalten war ein Fehler, weil der Esel abwarten will, ob wir nicht doch lieber zusammen mit einer Gruppe weiterlaufen könnten. Er steht und träumt und bewegt sich nicht. Die kleine Steigung durch den Ort erscheint als unüberwindbares Hindernis. Wenn der Kerl doch nur laufen würde. Eine Eselwanderung ist bisweilen etwas anderes als eine Wanderung ohne Esel. Streckenweise gleicht sie mehr einem Spaziergang und dann wieder ist sie unfreiwillige Pause oder Panne, so genau weiß man das oft nicht – mit dem Unterschied, daß man keinen Abschleppservice anrufen kann -, und ich frage mich, ob ich mehr Wanderer oder Antreiber bin. Heute auf jeden Fall bin ich am drängeln und will mich nicht entschleunigen lassen. Nicht von dem Esel, heute nicht. Soll ich dir noch einen RedBull kaufen? Nassis läuft, als hätte er Schlaftabletten genommen und obwohl er gut gefressen hat und sich lange ausruhen konnte, tut er so, als hätte er seit Tagen nichts mehr bekommen. Oder liegt es an meiner franz. Aussprache? Kommen die Kommandos und Aufforderungen sich bitteschön etwas zu sputen nicht richtig bei ihm an? Ich weiß, daß er viel schneller könnte, er selbst macht es mir immer wieder vor, genau dann, wenn er urplötzlich eine Wiese voller Butterblümchen entdeckt und losrennt, als gelte es das Leben. Nein, das ist alles nur Theater und deshalb schwinge ich mein Stöckchen und bringe ihn langsam auf Trab. Doch schnell sind wir heute nicht und weil ich so mit dem Antrieb des Esels beschäftigt bin, laufen wir oft für einige Meter in die falsche Richtung, übersehen Wegmarkierungen und verpassen mehrfach den richtigen Weg. Leider bleibt in diesem Bereich des Wanderweges mancher Abzweig etwas unklar und ängstlich setze ich den Weg fort. Im Schlepptau einen schleichenden Esel, der mehr mit fressen als laufen beschäftigt scheint. Wir kommen nach Mirandol, wo man auch gut übernachten könnte und erreichen den Weiler L’Estampe. Danach verlasse ich mich nicht mehr auf die Wegmarkierungen, die uns jetzt sowieso nicht weiterhelfen würden. Unser Weg führt nicht über Les Alpiers und weiter nach Le Bleymard, sondern zweigt wenige Kilometer nach L’Estampe von der Asphaltstraße D 120 in einer engen Rechtskurve ab und führt geradeaus direkt in den Wald hinein.

Karte.

Fragen sie nicht, woran ich die Stelle erkannt habe. Um ehrlich zu sein, habe ich mich nur auf mein Gespür und recht ordentliche Karten verlassen. Die ersten hundert Meter des Weges sind noch befestigt und es sieht aus, als würden hier Forstarbeiten durchgeführt werden. Große Holzstapel liegen herum und es ist genügend Platz, damit LKWs wenden können. Fünfzig Meter weiter steht man vor einer V-förmigen Weggabelung und hier muß man unbedingt den rechten Weg nehmen, hinein in den dunkleren, älteren Teil des Waldes. Nach dreihundert Metern kommt ein einfaches Schild GITE und ich muß unweigerlich laut lachen. Ich hätte es ja weiter vorne angebracht. Na egal. Plötzlich schnurrt Nassis wie aufgezogen, läuft dicht neben mir und ohne zerren und fluchen kommen wir 16 Uhr im Gite von Nathalie an … im Paradis, wo leider nur ein kühler Wind weht. Für den Süßen gibt es eine wunderbare Koppel, Nathalie holt ihren alten Esel dazu und so haben die beiden etwas Gesellschaft. Für mich gibt es Limonade, einen Platz an der Sonne, zwei Katzen und einen Hund, der sich auf meine Füße lägt und diese ganz prima wärmt. Später dann …

Katzentisch

ein wunderbares Abendbrot am Kamin und zum Einschlafen ein herrliches Gewitter. Ich weiß, die schönen Tage sind vorbei.

Tage 7, 8 und 9 – Le Bonnetes, Mont Lozere und Le Pont de Montvert

Am 28.5. wichen wir am Nachmittag von der Stevenson-Route ab und wanderten durch einen schönen, dichten Wald zum Gite de l‘ Escoutal von Nathalie in Bonnetes. Ein Ort, der wie verwunschen abseits aller Wege liegt und aus unserer Richtung kommend leider nicht ganz leicht zu finden war. Doch die Ruhe und die Abgeschiedenheit, der persönliche Charme und die ganze Atmosphäre waren jeden Schritt und jedes Eselandrängeln wert.

Katzentisch

Nassis ist bestens versorgt und bekommt für die gewittrige Nacht sogar artgerechte Gesellschaft. Nathalies alter Esel, fast 40, leistet meinem Grauen Gesellschaft und ich werde am Kamin zum Abendbrot sehr lecker bekocht.

Am nächsten Morgen, es ist der 29.5. machen wir uns zeitig auf zum Mont Lozere und Nathalie ermahnt mich zu mehr Strenge. Nassis soll und muß arbeiten – auch wenn wir gut und schnell vorankommen – muß ich wohl noch strenger sein und er soll nicht so viel fressen. Ihm das beizubiegen wird schwer, sehr schwer, doch die Ankunft in Mont Lozere ist ein Kinderspiel. Nassis bewältigt die ersten 5 km in genau einer Stunde und zum Dank kaufe ich ihm im Supermarkt in Bleymard einige Möhren und mir was Süßes, was er auch sofort ausprobieren will. Nichts da, du alter Esel. Nein die Dame, es ist kein schwangeres Eselmädchen, es ist ein zu dicker Eselboy. Glauben sie es ruhig. Niemals würde ich eine Dame mit meinem Gepäck beladen. Nun lauf mein Esel. Und wie der läuft. Die Uhr schlägt 15 und ich liege im Le Refuge in der Wanne. Das Wetter ist mäßig und kalt, doch das Abendbrot wie schon in den anderen Unterkünften zuvor ganz ausgezeichnet und mein Nassis hat sogar einen richtigen Unterstand.

Auf nach Le Pont de Montvert

Gipfel

Punkt 7:12 biegen wir auf die Straße, auf deren anderer Seite die Pferde in ihrer Koppel nur schemenhaft zu erkennen sind. Der Wind treibt den feinen Wasserstaub mit Wucht über die Landschaft. Nur einige Meter und wir biegen von der Straße auf den Wiesenweg, den wir hoch zum Sommet de Finiels (1699 Meter) wandern werden. Nassis läuft und läuft … unglaublich, nach etwas mehr als einer Stunde stehen wir auf dem Gipfel und sehen nichts – die Welt um uns herum verschwindet im Nebel und dem tosenden Sturm, der Regen peitscht ins Gesicht, wir flüchten und verlassen den Berg in Rekordzeit.

(Der ganze Tagebucheintrag dann später, von zu Hause aus. Jetzt nur noch einige Bilder vom Weg nach Le Pont de Montvert, weil es der bisher schönste Tourabschnitt war.)

Im Ginster Schäfchenwolken Montvert