In einer Zeit, in der Menschen davon sprechen nur noch tun zu wollen was ihnen Spaß macht und zugleich betonen, ein jeder wär ganz allein für sein Glück und Wohl verantwortlich, kann es nicht schaden, sich die eine oder andere Fabel anzuschauen.
Das Pferd und der Esel
Es war einmal ein Bauer, der hatte sein Pferd und seinen Esel gleichmäßig beladen und führte sie zum Markte, wo er mit seinen Waren Handel treiben wollte. Nach einer guten Strecke des Weges fühlte der Esel seine Kräfte schwinden und so bat er das Pferd kläglich: „Du bist viel größer und stärker als ich, musst nicht schwerer tragen. Nimm doch bitte einen Teil meiner Last, sonst werde ich bald am Boden liegen.“
Hartherzig antwortete das Pferd: „Ich habe selbst genug an meiner Last zu tragen.“
Keuchend schleppte sich der Esel weiter, bis er erschöpft zusammenbrach. Der Bauer drosch noch auf den Esel ein, aber er war schon tot. Da blieb nichts weiter übrig, als die ganze Last des Esels auf das Pferd zu packen. Auch wollte der Bauer noch etwas von dem Esel retten, zog ihm das Fell ab, und legte es dem Pferd oben auf.
Das Pferd bereute nun seine Hartherzigkeit und klagte: „Ach, wie leicht hätte ich dem Esel ein Stück Last abnehmen können. Wäre er noch lebendig, müsste ich nicht gleich alles tragen.“
Ob Aesop (gr. Aisopos oder lat. Aesopus), der ein berühmter Dichter der griechischen Antike war und unzählige Fabeln und Gleichnisse aufschrieb, wirklich so um 6. Jh. vor Chr. lebte, nach Plutarch einem Justizmord zum Opfer fiel (nach einer fadenscheinigen Anklage von einem Felsen gestoßen wurde) oder so wie Herodot berichtet in Delphi zu Tode kam, ist heute Teil der Sagenwelt – Genaues ist nicht überliefert. Doch mit Sicherheit darf der Dichter als Vorbild für die gesamte, europäische Fabeldichtung angesehen werden.