Eselwanderung – Auf dem Stevensonweg von Bouchet nach Langogne

24.5.16 – Der zweite Wandertag auf dem GR 70

7 Uhr stehe ich an der Koppel und werde freudig begrüßt. Mein Eselchen hat mich erwartet und ich bin voller Zuversicht für die heutige, zweite Etappe. Es wird ein leichterer, wenn auch etwas längerer Weg. Doch erstmal führe ich Nassis vor die Unterkunft, wo er gestriegelt, gebürstet und bepackt wird. Gründlich kontrolliere und reinige ich die Hufe, achte auf jedes noch so kleine Steinchen und verabreiche zur Motivation ein hartes Brötchen aus Berlin. Scheint ihm zu schmecken. 7:45 verlassen wir die Auberge du Couvige in Bouchet St. Nicolas in Richtung Langogne, bestaunen kurz die große Holzskulptur von Stevenson und Modestine am Ortsausgang von Bouchet, wo wir von der D 31 auf eine Asphaltstraße abbiegen. Voller Schwung starten wir in die 2. Etappe.

Holzskulptur

Der Morgen ist kühl und neblig, weit voraus ein einzelner Wanderer an dessen Fersen wir uns heften. Die neue, zum Schluß der gestrigen Etappe erprobte Gangart scheint zu funktionieren. Ich laufe mal neben und mal hinter Nassis, schwinge mein Stöckchen und halte ihn auf Trapp. Er darf so viel fressen wie er will – und er will viel – wenn er dabei nur in Bewegung bleibt und mir scheint, daß er mit dieser Übereinkunft zufrieden ist. Laufend pflügt er durch den grünen Seitenstreifen, grandios beherrscht er die Kunst des fressenden Laufens (oder wohl doch eher umgekehrt). Er hinterläßt eine Spur der botanischen Verwüstung, nichts, was er nicht fressen würde. Mein Eselchen ist unersättlich und siehe da, wir kommen sehr zügig voran. Nach gut zwei Stunden erst, da sind wir schon beim Picknick in Landos, holen uns die ersten Wandergruppen ein, die uns schon vom Vortage kannten und wir werden freudig ausgefragt, fotografiert und für die Reise beglückwünscht. Nassis stellt sich in Fotopose und meint, hierin länger verharren zu können. Nichts da mein Freund, heute machen wir Strecke. Ich werfe einen kurzen Blick auf die romanische Kirche St. Felix und weiter geht es auf dem Stevensonweg. Pradelles erreichen wir noch vor 13 Uhr und hier gönnen wir uns eine längere Pause. Das Dörfchen (mehr ein Städtchen) ist wirklich ganz hübsch. Nur ob es zu den schönsten Dörfern Frankreichs gehört weiß ich nicht. Es ist auf jeden Fall ziemlich alt. 1177 als Castrum Pratellae (Burg auf den hohen Wiesen) erwähnt, liegt die Ortschaft an einem bedeutendem Pilgerweg. Na wer auch immer zu der  Einschätzung kam, es würde sich um eine Ortschaft von außergewöhnlicher Schönheit handeln, hat die Rechnung ohne meinen Nassis gemacht. In einem Straßencafe entdecke ich bekannte Gesichter und weil ich einen Bankautomaten suche, frage ich, ob ich mein Eselchen mal der Aufsicht fremder Wanderer anvertrauen könne. Gesagt, getan und wo sonst Mofas und Fahrräder stehen, lasse ich Nassis kurz zurück. Keine fünf Minuten später waren alle Blumenkästen vor dem Cafe ratzekahl lehrgefressen. Nichts wie weg, bevor die Kellnerin den Schaden bemerkt. Ich höre noch das Gelächter der anderen Wanderer, die etwas von Gourmet und Vielfraß rufen. Schuldbewußt schleiche ich mich davon. Wenn schon der Esel keine Reue zeigt … Gott ist das peinlich.

Im Cafe

Zwei Straßen weiter entdecke ich vor dem Touristenbüro einen Postkartenständer und lasse, da ich keine Blumenkästen sehe, den Donkey kurz alleine stehen (weil er das sonst auch ganz wunderbar macht). Ich sehe noch, wie er ein, zwei Schritte geht, dann lasse ich mich ablenken und schaue nach den Fotos. Die Leute fotografieren und fotografieren und Plötzlich höre ich, wie eine ältere Dame etwas von gesundem Appetit sagt. Entsetz fahre ich herum und sehe was er angerichtet hat. Sagen wir mal so, die beiden Rosenstöcke rechts und links der Treppe werden dieses Jahr wohl keine Blüten tragen. Knospen und junge Triebe – alles abgefressen. Schnell stecke ich die Postkarten zurück und schleunigst suchen wir das Weite und auch Nassis läuft wie beflügelt und biegt vor mir um die nächste Ecke. Ich lasse ihn laufen und schaue mir die hübschen Straßen an. Muß ja nicht jeder wissen, daß wir zusammengehören. Da plötzlich Geschrei und Gezeter, was hat er nun wohl wieder angestellt? Mein Esel steht vor einer Hofeinfahrt und kaut, während eine ältere Dame ihn wütend beschimpft und als ich näherkomme, entdecke ich die ruinierten Blumenkübel. Ok, das ist nicht die feine englische Art, aber wir werden uns doch wohl einigen können. Was hatte er denn alles? Wie, sie hatten da einen Blumenkübel mit Ziergras? Können sie das beweisen? Ich seh da nämlich kein Gras. Nassis kaut und wendet den Kopf. Mist, aus der anderen Seite seiner kauenden Schnauze guckt Blaschwengel raus. Ja, mit Gras kennt mein Süßer sich aus. Ich bezahl ihnen doch kein Gras. Wenn ich das ganze Gras, was der Kerl bisher gefressen hat, bezahlen müßte. Nicht auszudenken. Nassis blickt versunken und hebt den Schwanz. Das ist zu viel für die Dame, die in einem frischen Eselhaufen keinen adäquaten Ersatz für ihr Ziergras erkennen kann, und nun werden wir vom Hofe gejagt. Da sieht man es mal wieder, die Leute lesen eindeutig zu wenig Märchen. Wer weiß, vielleicht wären es Goldstücke gewesen. Komm, laß die Alte meckern, wir gehen. Er hört aufs Wort und läßt den Schwanz sinken. Wie, du hast das nur vorgetäuscht? Oder willst du nur weiter, weil weit und breit nichts Fressbares mehr zu sehen ist. Ich klopfe ihm anerkennend auf den Hals und beschließe, mich bei Gelegenheit mit Möhren zu revanchieren. Wir verlassen die leergefressene Auvergne und marschieren stramm in Richtung Langogne, wo wir kurz nach 17 Uhr ankommen, einen gemeinsamen Stadtbummel machen und dann zu unserem Quartier etwas außerhalb wandern. Ein Weg, für den wir noch eine weitere Stund benötigen und der gerade mir viel abverlangt. Schon längst hatte ich mich gemütlich in der Sonne sitzen gesehen und nun wird es später und später und der Weg zieht sich wie Kaugummi. Aber es lohnt sich, ich bin sofort versöhnt mit der Welt, die Unterkunft im Les Terasses du Lac ist sensationell und wir werden freundlich erwartet und begrüßt. Ein riesiger See – der Lac de Naussac – ein tolles Zimmer mit Blick auf die Eselkoppel, das Abendbrot ist großartig und als ich mit Handtuch und Badehose bewaffnet zum See schreiten will, entdecke ich meinen Nassis vor der Lobby, wie er die Auslagen in den Rabatten studiert. Ausgebüchst der olle Houdini und wieder auf der Suche nach diversen Köstlichkeiten. Ich nehme ihn am Ohr und führe ihn zurück zur Koppel, suche und finde die Lücke im Zaun und gehe nun doch direkt ins Bett.

Kurze Statusmeldung – Tag 1&2 – Nassis und Erik auf Tour

Le Monastier sur Gazeille, Goudet, Bouchet St. Nicolas

Wir haben uns zusammengerauft und er war ein dickköpfiger Gegner. Doch nun steht fest, wer Esel und wer Boss ist. Wir hatten stehenbleiben, flüchten, alle 20 Meter anhalten, rückwärtslaufen, trödeln, schleichen, schnaufen, das volle Programm und ich habe zu keiner Minute mein Ziel aus den Augen verloren. Ich habe ihn durch steile Abhänge und schwierige Aufstiege geleitet, manchmal auch getrietzt, ich habe ihn vor Hunden beschützt und ihn sicher im Straßenverkehr geleitet. Jetzt verläßt er sich auf mich und heute haben wir 30km geschafft.

Startbild in Monastir

Das erste Bild. Fünf Minuten später waren wir auf uns allein gestellt.

Bouchet St. Nicolas – Langogne

Inzwischen sind wir ein Team. Nassis hat akzeptiert, dass er mir folgen muß und er vertrat mir. Ich habe ihn auch nicht mehr kurz am Führstrick sondern laufe mit einem langen Zweig wedelnd hinter ihm her (wenn er trödelt) oder bin neben ihm und er folgt mir wie ein Hündchen. Dafür lasse ich ihn fressen was er will und er frißt permanent. Er beherrscht die Kunst des fressenden Laufens oder wohl eher umgekehrt und hinterläßt dabei eine Spur der botanischen Verwürstung. Ihn im Cafe am Zaun anzubinden war ein Fehler, weil die Blumenkästen jetzt wieder kahl sind und die beiden Rosenstöcke rechts und links der Tür vor dem nahegelegenen Touristenbüro werden dieses Jahr wohl keine Blüten tragen – alle Knospen und die jungen Triebe, alles abgefressen. Wie, sie hatten da auch einen Kübel mit Ziergras? Können sie das beweisen? Ich seh da nichts mehr. Na bei Gras macht mein Esel keine Unterschiede … aber das da, das können sie gut als Dünger für den zweiten Ziergrasversuch benutzen. Nichts für ungut, aber wir müssen jetzt weiter. Eilig verlassen wir Pradelles, ein Ort, der unglaublich schön gepriesen wird. Mein Esel hat alles ruiniert.

Im Cafe

Mehr gibt es erstmal nicht zu berichten. Ich bin in wunderbaren Hotels untergebracht, werde mit mehrgängigen Menüs verwöhnt und wenn ich heute aus dem Fenster schaue, sehe ich meinen Grauen auf der Weide. Was könnte es schöneres geben und morgen ist es nur eine kurze Etappe von 15 km. Da sind wir zum Mittagessen mit durch.