Eselwanderung – auf dem Stevensonweg von Les Bonnetès nach Mont Lozère

29.5.16 – Der siebente Wandertag auf dem GR 70

Ein erster Blick aus dem Fenster und vergnügt stelle ich fest, es sieht gar nicht so schrecklich aus, wie nach dem Gewitter zu befürchten war. Zwar ist der Strom ausgefallen und nach Sonne ist grad aus. Es könnte aber schlimmer sein und erstmal frühstücke ich in aller Ruhe bei Nathalie und werde ermahnt, den Süßen nicht so viel fressen zu lassen. „Dein Esel ist zu dick!“ Und ich dachte immer, ich wäre viel zu streng gewesen. Nassis ist platschnaß vom Gewitter der letzten Nacht und wird also nicht gestriegelt und gebürstet. Sorgfältig putze ich nur die Hufe und dann geht es schon los. Es ist, als würde er wissen, wie blöd er gestern teilweise war. Der schnurrt den Waldweg mit der leichten Steigung lang … es ist die helle Freude und nur 1 1/2 h später sind wir in Le Bleymard, wo Nassis zur Freude vieler Menschen vor dem Supermarkt geparkt wird, während ich einkaufen gehe. Wir teilen uns eine große Möhre und schon geht es weiter. Die kleine Pause war zwar ein Fehler, weil sie den Rhythmus störte, doch er ist bisher toll gelaufen, bis hoch sind es nur noch reichlich 6 km und es ist grad 11 durch. Wir laufen durch Bleymard, folgen dem Stevensonweg, nehmen eine erste, starke Steigung und plötzlich geht die olle Trödelei von gestern wieder los. Ich komme mir vor wie in einer experimentellen Theateraufführung, wo sich die Schauspieler betont langsam wie in Zeitlupe bewegen, nichts passiert, Stück und Darsteller träge dahin schleichen und man am liebsten in die Stille des Zuschauerraumes rufen würde: Nun macht mal hin, ich will um 10 ins Bett, ich muß morgen arbeiten. Dann zeigt man mit dem Finger auf seinen Nachbarn und sagt laut, der da, der war’s. Schnell, schneller, lauf schneller. Verstehst du mich nicht? Aber heute ist es mir irgendwie egal. Es dauert noch einmal fast eine Stunde, aber dann plötzlich läuft es wieder, Nassis nimmt, wenn auch langsam, die stärksten Steigungen der bisherigen Tour und am Ende, als das Wetter wirklich mistig wird, läuft er flott wie ein Hündchen neben mir, hält nicht an und nach fünf Stunden steht er auf seiner Koppel vom Gite Le Refuge, hat sogar einen überdachten Bereich, feinstes Stroh und ich eine Badewanne. Fünf Stunden für diese Strecke ist ziemlich gut. Das Hotel LE REFUGE ist toll und weil es in der Lobby – Speisesaal und Kaffeebar in einem – so schön hell und warm ist, sitze ich unten vor einem großen Fenster und schreibe Tagebuch bei Espresso und Heidelbeerkuchen. Ich bin gern hier und ich bin auch gern unterwegs. Was habe ich nicht alles zusammen mit diesem Esel erreicht und mit Blick auf die absolvierte Strecke bin ich überrascht, wie gut wir bisher vorangekommen sind und voller Optimismus schaue ich auf die kommenden Tage.

Kuscheln

Der Regen macht eine Pause und ich gehe nach draußen, hole mir den Nassis aus der Koppel und gemeinsam gehen wir eine Runde spazieren. Ein Spaziergang ohne Führstrick und ohne Gepäck und mir scheint, als würde mein Eselchen plötzlich deutsch verstehen. „Komm“ und wir drehen eine kleine Runde, blicken auf zum höchsten Punkt der Reise, den wir morgen erreichen werden, besuchen im Hotel gegenüber einige Wanderer und Nassis schaut sich noch die Pferde an. Die Landschaft auf dem Mont Lozère ist geprägt durch große Granitfelsen, einem niedrigen Nadelwald und einer für die Höhe typische Heidelandschaft. Hier oben, wo es zahlreiche Torfmoore gibt, die vom Mittelmeer kommenden Wolken oft heftig abregnen und es so aussieht, als würde der Wind die Natur in eine bestimmt Richtung drücken, entspringen neben dem Altier und Tarn auch Lot und Luech. Vier Flüsse, aus denen sich unter anderem Garonne und Rhône speisen. Wir sind schon so hoch und morgen dann geht es auf den Sommet de Finiels und dessen 1699 Meter. Irgendwo da hoch, wo der Sturm die Wolken mit Macht vor sich hertreibt. Wenn das Wetter nicht so mistig wär, würde ich mit ihm irgendwo im Wald zelten. Zurück im Hotel hole ich mir einen großen Pott Tee und setze mich noch ein Stündchen zu Nassis in die Koppel. Ich weiß, daß er seine Herde vermißt und deshalb immer so herzerweichend ruft, wenn ich ihn allein in seiner Koppel zurücklasse.

IAaahhhh … wenn das Eselchen sich freut.

Jetzt steht er neben mir und sucht in meinen Händen nach Leckerlis, schiebt seinen Kopf vor meine Brust und legt sich am Ende neben mir ins Stroh. Ich beuge mich zu ihm hinunter und kuschle mich fest an ihn und leiste meinem Esel noch bis zum Abendbrot Gesellschaft. Es gibt einen herrlich frischen Salat, Suppe, einen Hauptgang und Eis. In einer Art Freßnarkose schleppe ich mich auf mein Zimmer und schlafe sofort tief und fest ein.