Eselwanderung – auf dem Stevensonweg von Langogne nach Cheylard-l’Évêque

25.5.16 – Der dritte Wandertag auf dem GR 70

Wir starten früh und ich wie immer ohne Frühstück. Ich merke, daß ich leistungsfähiger, konzentrierter bin, wenn ich mich nicht vollstopfe. Nassis wird gestriegelt, gebürstet und alles was sonst noch nötig ist. Schnell einen letzten Blick auf den Stausee

Am see in langogne

und zurück nach Langogne, ein Stück durch die Stadt, weil ich einen Blick auf die romanische Kirche St Gervais et St. Protais im Stadtzentrum und die Markthalle (Halle aux grains) – einen alten Kornspeicher – werfen will und dann immer den Markierungen nach, raus aus der Stadt, weiter auf dem Stevenson-Weg. Wir folgen der Einfachheit halber einer anderen Wandergruppe, was aber nur zum Teil gelingt – man wandert ohne Esel schneller, doch wir haben erstmal die richtige Richtung. Wenn sie in Langogne sind, empfehle ich ihnen auch den großen Glockenturm am Südtor, die alte Spinnereifabrik ist ebenfalls interessant und der Gefängnisturm ist auch einen Abstecher wert. Der Weg ist nicht besonders anspruchsvoll und nicht der Ausblicke wegen berühmt. Spannend allein ist die grauenvolle Geschichte der Gegend. Hier wütete die Bestie des Gevaudan, jenes Ungeheuer, welches zwischen 1764-1767 wohl über hundert Menschen tötete und bestialisch zerfleischte.

Bestie

Seinen Anfang nahm das Grauen in der Gemeinde St.-Étienne de Ludgarès, wo die junge Jeanne Boulet am 30. 6. 1764 schrecklich entstellt tot aufgefunden wurde. Sie war das erste, behördlich registrierte Opfer. Vorher gab es nur Überfälle auf Viehbestände, von denen man nicht weiß, ob sie mit der Bestie in Verbindung stehen.

Bestie 2

Das Morden jedenfalls hielt viele Jahre lang an, Ludwig der XV. schickte Soldaten und Jäger, alle Wölfe, jeder streunende Hund, alles wurde erschossen, eine Treibjagd mit 20.000 Jägern blieb ohne Erfolg und es hörte einfach nicht auf. Einigen Opfern fehlten innere Organe, anderen der Kopf; es war grauenhaft. Die Bestie des Gevaudan wurde zur allgegenwärtigen Bedrohung des Lebens und nachdem man schon dachte, es hätte ein Ende, fing es nach einer längeren Pause in der Nähe von Langogne, im Wald wieder an. Und weil man den Bauern während der Camisardenkriege alle Waffen abgenommen hatte, konnten diese sich nicht verteidigen und waren dem Unheil schutzlos ausgeliefert. Irgendwann erschoß man noch ein Tier und danach war es plötzlich vorbei.

Nassis im Wald

Waldweg Nähe Cheylard

Wir laufen durch diesen dunklen Wald und ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl damals war. Nassis trabt neben mir her wie ein Hündchen und wir kommen gut voran. Bloß wenn er eine Picknickgruppe im Wald sieht, dann möchte er sich anschließen, bleibt stehen und sinniert. Ich denke, er geht im Kopf die Speisenkarte seiner Erinnerungen durch und überlegt, was es neben Baguette und Käse, Obst und Gemüse noch alles geben könnte, was ihm jetzt entgeht. Ihn nach solchen Pausen wieder in Bewegung zu versetzen ist ausgesprochen schwierig. Doch die Etappe ist nicht besonders lang und so laufen wir gemütlich, immer wieder von Wandergruppen überholt, weiter auf unserem Weg. Kommen durch Fouzilic und Fouzilac, aus der Entfernung sehe ich schon den Berg mit der Kapelle obendrauf und schaue noch einmal nach, wo wir übernachten, übersehe, überlese die Unterkunft in Cheylard, wo ich mich doch fast schon am Ziel wähnte, und bekomme einen großen Schreck, weil ich weiß, wie weit der Weg bis La Bastide noch wäre. Das schaffen wir nie und nimmer und doch treibe ich meinen Esel an. Wenn wir jetzt schon das Tagespensum nicht schaffen, könnten alle weiteren Etappen Probleme machen und ich möchte nicht die ganze Tourplanung über den Haufen werfen. Stramm marschieren wir durchs Dorf und treffen in einem Cafe wieder auf die vier netten Damen und kurzentschlossen legen wir eine Pause ein, zumal ich fragen will, wie weit es noch bis La Bastide ist. Für mich gibt es eine Cola und Nassis kann kurz entspannen. Ich fürchte, daß wir bis in die Nacht hinein laufen müssen. Wie kam ich nur auf die Idee, daß wir heute eine kurze Etappe zu absolvieren hätten? Entsetzt schauen die Damen auf, als sie erfahren, wie weit wir es noch haben. Ich zeige mein Blatt mit den Unterkünften und da sehe ich doch plötzlich wieder das Refuge du Moure in Cheylard. Der Stein, der mir vom Herzen fällt könnte größer nicht sein und vor lauter Glück übersehe ich größzügig, wie sich mein verfressener Esel über den Vorgarten der Cafebesitzerin hermacht. Fröhlich zahle ich meine Cola, frage nach dem Weg zum Hotel Refuge du Moure – um die Ecke, zwanzig Meter – schnappe mir den Donkey und schon sind wir da.

GR 70

Es ist ein wunderschöner Platz, einladend und gemütlich. Was bin ich froh, gern bin ich hier. Das Zimmer ist altmodisch möbliert, leider etwas kühl und ich muß erstmal Hausschuhe aus dem Regal holen. Mit Wanderschuhen darf man hier nicht aufs Zimmer. Der Abend dann wird ein unglaubliches Erlebnis. So bin ich wohl noch nie bekocht worden und ich sitze mit den vier lieben, französischen Damen an einem Tisch.

Abendbrot

Zwei von ihnen sprechen etwas englisch und so kommen wir gut miteinander klar. Ich gehe nach dem Abendbrot noch einmal zu Nassis und nehme Leckerlis mit. Gute Nacht und bis morgen.

Eselwanderung – Auf dem Stevensonweg von Bouchet nach Langogne

24.5.16 – Der zweite Wandertag auf dem GR 70

7 Uhr stehe ich an der Koppel und werde freudig begrüßt. Mein Eselchen hat mich erwartet und ich bin voller Zuversicht für die heutige, zweite Etappe. Es wird ein leichterer, wenn auch etwas längerer Weg. Doch erstmal führe ich Nassis vor die Unterkunft, wo er gestriegelt, gebürstet und bepackt wird. Gründlich kontrolliere und reinige ich die Hufe, achte auf jedes noch so kleine Steinchen und verabreiche zur Motivation ein hartes Brötchen aus Berlin. Scheint ihm zu schmecken. 7:45 verlassen wir die Auberge du Couvige in Bouchet St. Nicolas in Richtung Langogne, bestaunen kurz die große Holzskulptur von Stevenson und Modestine am Ortsausgang von Bouchet, wo wir von der D 31 auf eine Asphaltstraße abbiegen. Voller Schwung starten wir in die 2. Etappe.

Holzskulptur

Der Morgen ist kühl und neblig, weit voraus ein einzelner Wanderer an dessen Fersen wir uns heften. Die neue, zum Schluß der gestrigen Etappe erprobte Gangart scheint zu funktionieren. Ich laufe mal neben und mal hinter Nassis, schwinge mein Stöckchen und halte ihn auf Trapp. Er darf so viel fressen wie er will – und er will viel – wenn er dabei nur in Bewegung bleibt und mir scheint, daß er mit dieser Übereinkunft zufrieden ist. Laufend pflügt er durch den grünen Seitenstreifen, grandios beherrscht er die Kunst des fressenden Laufens (oder wohl doch eher umgekehrt). Er hinterläßt eine Spur der botanischen Verwüstung, nichts, was er nicht fressen würde. Mein Eselchen ist unersättlich und siehe da, wir kommen sehr zügig voran. Nach gut zwei Stunden erst, da sind wir schon beim Picknick in Landos, holen uns die ersten Wandergruppen ein, die uns schon vom Vortage kannten und wir werden freudig ausgefragt, fotografiert und für die Reise beglückwünscht. Nassis stellt sich in Fotopose und meint, hierin länger verharren zu können. Nichts da mein Freund, heute machen wir Strecke. Ich werfe einen kurzen Blick auf die romanische Kirche St. Felix und weiter geht es auf dem Stevensonweg. Pradelles erreichen wir noch vor 13 Uhr und hier gönnen wir uns eine längere Pause. Das Dörfchen (mehr ein Städtchen) ist wirklich ganz hübsch. Nur ob es zu den schönsten Dörfern Frankreichs gehört weiß ich nicht. Es ist auf jeden Fall ziemlich alt. 1177 als Castrum Pratellae (Burg auf den hohen Wiesen) erwähnt, liegt die Ortschaft an einem bedeutendem Pilgerweg. Na wer auch immer zu der  Einschätzung kam, es würde sich um eine Ortschaft von außergewöhnlicher Schönheit handeln, hat die Rechnung ohne meinen Nassis gemacht. In einem Straßencafe entdecke ich bekannte Gesichter und weil ich einen Bankautomaten suche, frage ich, ob ich mein Eselchen mal der Aufsicht fremder Wanderer anvertrauen könne. Gesagt, getan und wo sonst Mofas und Fahrräder stehen, lasse ich Nassis kurz zurück. Keine fünf Minuten später waren alle Blumenkästen vor dem Cafe ratzekahl lehrgefressen. Nichts wie weg, bevor die Kellnerin den Schaden bemerkt. Ich höre noch das Gelächter der anderen Wanderer, die etwas von Gourmet und Vielfraß rufen. Schuldbewußt schleiche ich mich davon. Wenn schon der Esel keine Reue zeigt … Gott ist das peinlich.

Im Cafe

Zwei Straßen weiter entdecke ich vor dem Touristenbüro einen Postkartenständer und lasse, da ich keine Blumenkästen sehe, den Donkey kurz alleine stehen (weil er das sonst auch ganz wunderbar macht). Ich sehe noch, wie er ein, zwei Schritte geht, dann lasse ich mich ablenken und schaue nach den Fotos. Die Leute fotografieren und fotografieren und Plötzlich höre ich, wie eine ältere Dame etwas von gesundem Appetit sagt. Entsetz fahre ich herum und sehe was er angerichtet hat. Sagen wir mal so, die beiden Rosenstöcke rechts und links der Treppe werden dieses Jahr wohl keine Blüten tragen. Knospen und junge Triebe – alles abgefressen. Schnell stecke ich die Postkarten zurück und schleunigst suchen wir das Weite und auch Nassis läuft wie beflügelt und biegt vor mir um die nächste Ecke. Ich lasse ihn laufen und schaue mir die hübschen Straßen an. Muß ja nicht jeder wissen, daß wir zusammengehören. Da plötzlich Geschrei und Gezeter, was hat er nun wohl wieder angestellt? Mein Esel steht vor einer Hofeinfahrt und kaut, während eine ältere Dame ihn wütend beschimpft und als ich näherkomme, entdecke ich die ruinierten Blumenkübel. Ok, das ist nicht die feine englische Art, aber wir werden uns doch wohl einigen können. Was hatte er denn alles? Wie, sie hatten da einen Blumenkübel mit Ziergras? Können sie das beweisen? Ich seh da nämlich kein Gras. Nassis kaut und wendet den Kopf. Mist, aus der anderen Seite seiner kauenden Schnauze guckt Blaschwengel raus. Ja, mit Gras kennt mein Süßer sich aus. Ich bezahl ihnen doch kein Gras. Wenn ich das ganze Gras, was der Kerl bisher gefressen hat, bezahlen müßte. Nicht auszudenken. Nassis blickt versunken und hebt den Schwanz. Das ist zu viel für die Dame, die in einem frischen Eselhaufen keinen adäquaten Ersatz für ihr Ziergras erkennen kann, und nun werden wir vom Hofe gejagt. Da sieht man es mal wieder, die Leute lesen eindeutig zu wenig Märchen. Wer weiß, vielleicht wären es Goldstücke gewesen. Komm, laß die Alte meckern, wir gehen. Er hört aufs Wort und läßt den Schwanz sinken. Wie, du hast das nur vorgetäuscht? Oder willst du nur weiter, weil weit und breit nichts Fressbares mehr zu sehen ist. Ich klopfe ihm anerkennend auf den Hals und beschließe, mich bei Gelegenheit mit Möhren zu revanchieren. Wir verlassen die leergefressene Auvergne und marschieren stramm in Richtung Langogne, wo wir kurz nach 17 Uhr ankommen, einen gemeinsamen Stadtbummel machen und dann zu unserem Quartier etwas außerhalb wandern. Ein Weg, für den wir noch eine weitere Stund benötigen und der gerade mir viel abverlangt. Schon längst hatte ich mich gemütlich in der Sonne sitzen gesehen und nun wird es später und später und der Weg zieht sich wie Kaugummi. Aber es lohnt sich, ich bin sofort versöhnt mit der Welt, die Unterkunft im Les Terasses du Lac ist sensationell und wir werden freundlich erwartet und begrüßt. Ein riesiger See – der Lac de Naussac – ein tolles Zimmer mit Blick auf die Eselkoppel, das Abendbrot ist großartig und als ich mit Handtuch und Badehose bewaffnet zum See schreiten will, entdecke ich meinen Nassis vor der Lobby, wie er die Auslagen in den Rabatten studiert. Ausgebüchst der olle Houdini und wieder auf der Suche nach diversen Köstlichkeiten. Ich nehme ihn am Ohr und führe ihn zurück zur Koppel, suche und finde die Lücke im Zaun und gehe nun doch direkt ins Bett.