31.5.16 – der neunte Wandertag auf dem GR 70
Es ist ein nasser, kalter Morgen und ich überlege, wo ich den Süßen wohl finden werde. Habe ich von dem Esel auf der Brücke nur geträumt, war es vielleicht ein anderer Esel? Geh ich rechtsrum zur Brücke und suche im Dorf oder schaue ich doch gegenüber in der Koppel nach. Allein den Kopf aus der Herberge zu stecken ist ein Akt der Überwindung.
Es regnet und mir ist kalt. Doch kaum bin ich auf der Straße höre ich ein freudiges, mir sehr vertrautes Schnaufen und Prusten, ein freudiges IAhhh und schon steht mein Eselchen neben mir. Kann losgehen Süßer. Ich nehm den Grauen am Führstrick und binde ihn an einem Geländer an. Leckerli, Hufe, Gepäck aufladen, ein Kuß und noch ein Leckerli, dann geht es los und auf den Abstieg von gestern folgt, es war ja klar, ein langer, schwieriger Aufstieg. Stetig laufen wir bergauf in Richtung Mijavols, der Weg bietet tolle Blicke zurück in Richtung Montvert.
Es ist die gleiche, schöne Landschaft, die wir schon gestern so bewunderten – Nassis mit dem Magen, ich mit den Augen – und trotz der grauen Wolken läßt der blühende Ginster die Landschaft so leuchtend gelb erscheinen. Die Welt um uns herum besteht aus grünen Wiesen, grauen Granitfelsen und gelben Ginster Wenn nur der Himmel ein Erbarmen hätte. Grau in grau ist es über uns, doch so lange es wenigstens nicht regnet will ich nicht meckern. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten läuft Nassis langsam aber stetig bergauf. Man sollte nicht denken, daß es nach Überwindung von Mont Lozère und Sommet de Finiels nicht mehr bergauf gehen würde. Der Anstieg hat es in sich. Allein die zauberhafte Landschaft entschädigt für alle Mühen und mein lieber Nassis läuft mehr oder weniger gleichmäßig vor sich hin. Ich habe schon mehrfach beobachten können, wie wenig es ihm gefällt, wenn der Tag mit Kletterei anfängt. Doch ich kann es ja nicht ändern und außerdem weiß ich, daß es nicht wirklich eine Anstrengung für ihn ist. Eher ein mentales Problem und da gibt es zum Glück Abhilfe. Das Hauptproblem auf unserer Reise ist nämlich die geringe Gruppengröße. Er möchte gern mit vielen anderen unterwegs sein. So ist er es gewohnt, so kennt er es und inzwischen nutze ich das manchmal auch aus, indem ich einfach vor einer Steigung eine kleine Pause einlege und warte, bis die nächste Gruppe kommt. Haben die uns erst einmal erreicht, ist der Rest ein Kinderspiel. Auf die üblichen Fotowünsche mit meinem Esel folgen Tips, wie man einen Esel antreibt. Danke sehr, wir warten nur auf sie, nun machen sie mal hin … denke ich mir still und kaum setzt sich der ganze Haufen in Bewegung, läuft mein Nassis brav hinterher. Gelernt ist gelernt und heute paßt alles zusammen. Vor jeder großen Steigung, und davon gibt es reichlich, lang und steil, passe ich eine Gruppe ab und es läuft wie geschmiert. Danach lasse ich ihn trödeln und über seiner Fresserei verliert er das Tempo aus dem Blick; keine fünf Minuten später sind wir wieder für uns und laufen gemütlich, still, kauend (er), Seite an Seite durch die schönste Waldlandschaft. Als der Weg an einem Abhang entlang verläuft, bietet sich uns ein unglaubliches Schauspiel dar. Einige tiefhängende Wolken ziehen etwas unter uns zwischen den Bergen dahin und es ist, als könnte man in die Watteschicht hineingreifen. Ich halte mein langes Stöckchen über den Abhang und rühre damit wie in Zuckerwatte – was mein Esel angesichts meines kindlichen Benehmens denkt will ich gar nicht wissen -, bis ein Windstoß plötzlich ein Wölkchen direkt auf uns zu treibt und für Sekunden verschwinden wir beide und die ganze Landschaft um uns herum im Nebel. Nassis hat die Ohren angelegt und ich sehe, daß er in die Hocke gegangen ist. Ich könnt ihn knuddeln. Mich stören weder Regen noch Wind und wahrlich frohgemut durchwandern wir ein kleines Tal, bevor ein wirklich langer und schwieriger Anstieg seinen Anfang nimmt.
Sollte ich rückblickend einschätzen müssen, welche dieser Klettertouren die längste war, dann ist es wohl die heutige gewesen. Zugleich ist es aber auch die wohl schönste Strecke und nur dieser Eindruck zählt. Nachdem die letzte Wandergruppe außer Sichtweite ist, schlendern mein Esel und ich ohne jede Hast bis nach Mijavols, wo wir im Gite de Etape übernachten sollen. Beim ersten Anblick bekomme ich einen Schreck und schaue mich hilfesuchend um. Ein mit Folie und Autoreifen abgedecktes Dach nebenan, das Haus selber sieht auch nicht gerade gut aus, kein Mensch weit und breit, doch Nassis scheint zu wissen wo er hingehört. Zielstrebig strebt er Richtung Koppel und während ich überlege, wo ich mein Zelt einigermaßen windgeschützt und trocken aufbauen könnte, kommt ein weiterer, junger Wandersmann daher der nicht gleich aufgibt und viel energischer auf die Türklinke drückt als ich. Auf geht sie die Tür, 10 Minuten später brennt das Feuer im Kamin und wir teilen Essen und Kaffee, entdecken die sauberen Toiletten und den großen Elektroheizkörper an der Wand, auf dem wir unsere Sachen trocknen. Wir sind beide überrascht, hier hat scheinbar jemand an die wirklich wichtigen Dinge gedachte. Der Herd in der Küche funktioniert, Holz ist reichlich da – alles was man tatsächlich braucht – und schnell liegt mein Schlafsack auf einem der Betten und ich darin. Auf dem großen Tisch ein Zettel mit dem Hinweiß auf das Abendbrot um 20 Uhr im Dorf bei Frau Chaptal und nach und nach treffen acht weitere WanderInnen ein, die alle klatschnass und trotzdem guter Dinge sind; meine Laune hat sich deutlich verbessert, was durchaus mit dem netten Franzosen zu tun hat, mit ich mein Essen teilte. Die Hütte ist warm, wir besprechen für morgen die möglichen Routen für mich, weil der Weg über Florac nicht zu schaffen ist, und kurz vor 20 Uhr schließe ich mich den anderen an. Gemeinsam gehen wir ins Dorf, wo wir von vielen Hunden und Katzen und einer ganz liebenswerten Frau begrüßt werden. Nur Minuten später finde ich mich in einem Wohnzimmer an einem langen Tisch wieder, es gibt Pastis, Brot, Schinken und Salat, und darf teilhaben an einer großartigen Erfahrung. Der Hauptgang ist sensationell – alles was es hier gibt kommt aus eigener Produktion, weil man weit und breit nichts kaufen kann – die Walnußwürstchen mit den typisch grünen Linsen sind eine echte Überraschung und Rotwein, Ziegenkäse und Kuchen schmecken fantastisch. Gegen 21 Uhr kommt der Bauer von draußen rein, lacht und reibt sich mit seinen großen, schweren Händen freundlich das Kinn, nimmt sich die Schüssel mit den Salatresten und nun beginnt scheinbar jeder hier etwas zu erzählen, was mein Nachbar so weit wie möglich für mich übersetzt. Kein Hotel könnte dies bieten. Ich bekomme noch eine große Schale mit Eselfutter, worüber sich mein Nassis sichtlich freut, liege kurz darauf im Schlafsack und wache erst 5:30 auf, weil ein klägliches Miau mich weckt. Wir haben ein Kätzchen zu Besuch und während ich den Kamin neu entfache, damit die anderen es nachher warm haben, mir einen Tee koche und Käsewürfel für die Mietz schneide, hört es draußen sogar zu regnen und zu stürmen auf. Wir haben den 1.6.16