Eselwanderung 2018 – von Le Pont de Montvert nach Cassagnas – Tag 1

Marie-Ange von Le Mas Des Anes hat uns eine große Freude gemacht. Sie hat uns, zusammen mit Esel Narzisse, bis nach Le Pont de Montvert gefahren und nun sind wir, diesmal ist meine Freundin mit dabei, endlich wieder gemeinsam unterwegs. Ich weiß nicht, wie ich dieses Gefühl richtig beschreiben kann und es mag vielleicht komisch klingen, doch ich bezeichne diesen Esel als meinen Freund.

Also stehen wir wieder gemeinsam nah bei der berühmten Brücke und bereiten uns auf die nächsten zwei Tage vor. Was im Klartext bedeutet, daß der Esel erstmal alles frißt was sich nicht Geranie nennt. Anschließend stellt er sich vor den Gemüse- und Gemischtwarenladen in der Voie Communale le Quai, tut niedlich und bekommt sofort ein ganze Tütchen voll frischer Möhren geschenkt. Was ich selbstverständlich auch sofort ausprobiere, doch im Gegensatz zum Esel muß ich den Tavel (Rosé) und alle anderen Dinge bezahlen. Die Welt ist ungerecht.

Schnell noch einen Espresso und dann geht es los. Narzisse folgt mir wie ein Hündchen über den Fluß. Gott habe ich den Burschen vermißt. Ob er auch weiterhin so brav läuft? Lassen wir uns überraschen.

Le Pont-de-Montvert war ein Zentrum der 1702 beginnenden Kamisardenkriege in den Cevennen. Nach der Ermordung des katholischen Inquisitors Abbé Chayla, der hier – zusammen mit seiner ganzen Polizeitruppe – erschlagen worden war, ließ man Pierre Séguier, einen Anführer der Kamisarden, am 12. August 1702 genau hier unterhalb des Brückenturms auf dem Scheiterhaufen hinrichten, woraufhin das Unheil seinen Lauf nahm. Die mehrheitlich protestantischen Hugenotten (Camisards) in den Cevennen, die sich bereits im 16. Jh. der Reformation angeschlossen hatten, und die seit der Rücknahme des Edikts von Nates 1685 einen schwelenden Partisanenkrieg gegen Ludwig XIV. und sein Edikt von Fontainebleau führten, erhoben sich gegen den König und am Ende des Krieges waren die Cevennen weitgehend entvölkert. Und warum? Nur weil ein despotischer Herrscher seinem Volk Vorschriften in Sachen Glauben machen wollte. So etwas ist immer Mist.

Forschen Schrittes überqueren wir den Tarn auf der zweibogige Brücke aus dem 17. Jahrhundert, biegen einmal links ab und machen ein Erinnerungsbild vor der Auberge des Cevennes, wo Robert L. Stephenson während seiner Wanderung zu Mittag aß.

ACHTUNG! Die Wanderung beginnt. Vor uns liegen gut 18 km bis Cassagnas/ Le Mimentois. Wer das Espace Stephenson zum Ziel hat, muß noch 2,5 km weiter. Man sollte auf jeden Fall mit 10 Stunden für den Weg rechnen und auf keinen Fall darf man Getränke und Verpflegung für unterwegs vergessen, weil es keine Einkaufsmöglichkeit gibt. Wegzeit ca. 10 Stunden, unbedingt Getränke/ Verpflegung mitnehmen)

Fast direkt gegenüber der Auberge des Cévennes führt ein schmaler Weg aus dem Städtchen heraus, nach wenigen Metern kommen Sie zu einer kleinen Koppel-Tür und direkt dahinter beginnt der Stephensonweg GR72. Stetig geht es bergauf und Sie haben eine schöne Aussicht auf die Stadt mit der berühmten Doppelbogenbrücke aus dem 17. Jh. über den Tarn.

Achten Sie einfach auf die weiß-roten Wegmarken und gönnen Sie sich und dem Esel während des Anstiegs auch mal eine kleine Pause.

Nach ca. drei Kilometern kommen Sie an eine Weggabelung, wo es in beiden Richtungen nach Florac geht.

Hier gehen Sie unbedingt links in Richtung Cassagnas, weiter auf dem GR72. Es folgt ein schönes Waldgebiet mit kleinen Bächen, wo man gut ein Picknick machen kann.

Picknick ist immer gut. Gleich mal schauen, was es zu futtern gibt. Nichts ist interessanter als die Taschen mit den Lebensmitteln. Und irgendwo sind doch die Wiesenbussies versteckt …

Nur dehnen Sie die Pausen nicht zu sehr aus. Der schwierige Teil des Weges liegt noch vor Ihnen.

Wenn Sie aus dem Wald herauskommen, stoßen Sie auf die D20. Gehen Sie nach links über die Brücke und bleiben Sie für ca. 500 Meter auf der Straße. Bevor die D20 in einer weiten Linkskurve abbiegt, führt auf der rechten Seite ein Weg bergauf in den Wald. Das ist Ihr Weg. Versuchen Sie langsam aber stetig den langen Anstieg zu meistern. Der Weg ist leicht zu finden. Nach einem km kommt auf der rechten Seite ein kleines Anwesen und Sie laufen geradeaus weiter.

Schwierig wird es kurz vor dem Col de la Planete, wo Sie an einer Wegkreuzung links abbiegen müssen. Sie erkennen die Stelle leicht an dem Gedenkstein für Raymond Senn.

Für eine kurze Strecke laufen Sie jetzt auf dem GR68.

Am Col de la Planete nehmen Sie den ersten Weg rechts, weiter auf dem GR72 in Richtung Cassagnas.

(Hier n. eine etwas größere Übersicht)

Es sind jetzt noch etwa 9 km und es geht nicht mehr bergauf. Achten Sie einfach auf die weiß-roten Wegmarken und schon bald gelangen Sie zum Col du Poulio, wo Sie sich zweimal rechts halten müssen. 

Nach ca. 500 Metern geht auf der linken Seite, zu erkennen an einem großen Baum mit der weiß-roten Farbmarke und einem Holzpfahl mit einem kleinen Schild daneben, ein schmaler Weg nach unten in den Wald.

Diesen Weg müssen Sie unbedingt finden und nehmen. Es ist ein schöner, romantischer Weg, der Sie am Ende mit einer tollen Aussicht belohnt.

Jetzt kommt der schwierige Abstieg nach Cassagnas. Für einige hundert Meter liegen viele, lose Steinplatten auf dem Weg und es wird für den Esel sehr schwierig zu laufen. Helfen Sie dem Tier einen besseren Tritt im Gras neben dem Weg zu finden. Lassen Sie dem Tier Zeit für ein eigenes Tempo. Schon bald erreichen Sie die Dorfkirche von Cassagnas. Gehen Sie abwärts bis zur D62, Sie müssen sich rechts halten (weiter parallel zur N106) und in einer Rechtskurve verlassen Sie die D62 nach links. Le Mimentois ist ausgeschildert und Sie sind nur noch wenige Schritte von einer der schönsten Unterkünfte entfernt. Hofhund Lola bellt nur aus Freude.

Wenn Sie auch solch eine schöne Wanderung mit einem Esel, oder zusammen mit Freunden in einer größeren Gruppe und mehreren Tieren, erleben möchten, dann nehmen Sie ruhig Kontakt zu Marie auf. Sie spricht sehr gut Deutsch und Englisch. Marie-Ange Benoit: Le Mas Des Anes. 

 

 

Eselwanderung – auf dem Stevensonweg von Mont Lozère nach Le Pont-de-Montvert

30.5.16 – der achte Wandertag auf dem GR 70

6:30 schaue ich aus dem Fenster und sehe die Pferde in ihrer Koppel auf der gegenüberliegenden Straßenseite nicht. Der Wind fegt einen feinen Dunst aus Nebel und Nieselregen über die Straße und ich beschließe, mich lieber schnell auf den Weg zu machen. 7:00 ist Nassis startklar, 7:12 verlassen wir unser Gite und biegen nur wenig später auf den Wiesenweg neben der Kirche ein, auf dem wir nach oben gelangen werden. Narzisse läuft erstaunlich gut und ich lasse ihm die ständigen Bisse ins Gras mehr oder weniger durchgehen. Der Regen hat aufgehört, doch es ist schrecklich kalt und der Wind wird, je weiter hoch wir kommen, natürlich immer stärker. Die Sichtweite beträgt vielleicht hundert Metern und ich achte auf jede Wegmarkierung und man wird es mir vielleicht nicht glauben: doch 8:16 haben wir das Hochplateau unterhalb des Gipfels vom Sommet de Finiels erreicht – hier entstand das Foto von Narzisse im Nebel –

GipfelEsel

und genau 8:35 sind wir ganz oben auf dem Sommet de Finiels und eilen weiter. Fünf, sechs Meter vor mir verschwimmt alles im Nebel und ich nehme den Esel nun doch lieber am Führstrick. Sturmböen peitschen uns den Regen um die Ohren, von der Landschaft ist nichts zu sehen und wohin man auch blickt, besteht alles nur aus Nebel. Der Abstieg gerät zum Kinderspiel und Narzisse wächst über sich hinaus. Wir nehmen, obwohl der Reiseveranstalter uns davon abgeraten hat, den direkten Weg, den Stevenson-Weg und ich kann nur empfehlen, es uns gleichzutun. Der angeblich zu steile Abstieg ist ein Kinderspiel und der schmale Pfad durch den Wald, welchen man nach gut 600 Metern unterhalb des Gipfels erreicht, wird für uns zur Rennstrecke. Die Wegmarken sind sehr gut zu sehen und nur auf der mit Granitblöcken übersäten Wiese unterhalb des Gipfels, auf die man nach einer Rechtsabbiegung gelangt, muß man etwas aufpassen, weil einige Löcher im Boden sind. Im Galopp geht es hinunter und keine halbe Stunde später sind wir auf dem breiten Waldweg, es wird etwas heller und ich bin bester Dinge. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes nach unten gejoggt und ich muß Nassis komplett neu beladen, weil das Gepäck bei dem Tempo verrutscht ist. Die Tour ist ein Kinderspiel. Finiels erreichen wir nach einer guten, weiteren Stunde und ich lasse den Grauen etwas trödeln, versuche aber trotzdem, die permanente Fresserei einzudämmen, was leider nur mäßig gelingt. Egal, wir sind gut in der Zeit und ich genieße die Landschaft, atme tief ein und bin unheimlich froh in diesem Moment. Der Himmel spendiert ab und an ein blaues Loch mit Sonnenschein und bis 11 Uhr haben wir keine anderen Menschen gesehen. Was ich ebenfalls genießen kann. Wir sind allein. Finiels muß man nicht unbedingt gesehen haben, doch mit Blick auf die Landschaft drumherum hat der Ort seinen ganz eigenen Reiz und der Rest des Weges bis nach Le Pont-de-Montvert ist der schönste Streckenabschnitt, den ich bisher erlebt habe. Die großen, grauen Granitblöcke auf den Wiesen, der gelbe Ginster und die Rundungen der Berge. Es ist ein Spaziergang durch ein Naturparadies, den wir ganz für uns haben. Nach anderthalb Stunden sehen wir unten im Tal Montvert und jetzt wird der Abstieg wirklich anspruchsvoll. Nassis zickt rum und wir kommen oft nur schrittweise voran. Mir ist aber klar, daß dieser Abstieg für den sonst so trittsicheren Esel schwierig ist und so mancher Schritt Überwindung kostet. Ich gehe langsam voran, führe in die Richtung die mir als gangbar erscheint und lasse ihn langsam laufen. Bei Bedarf ziehe ich vorsichtig und rede beruhigend auf ihn ein. Wir nähern uns Schritt für Schritt und sind Schlag 14 Uhr am Ziel in der Auberge des Cevennes, wo Stevenson einst zu Mittag aß. Die Auberge Cevenne liegt malerisch am Fluß, sieht schon von außen so alt aus wie sie tatsächlich ist und versprüht auch von innen den Charme längst vergangener Zeiten. Es hängt angenehmer Geruch nach Bistro und Parfum, alten Holzwänden und Fußböden, der Küche und all den anderen Zutaten der letzten 100 Jahre im Haus. Mein Zimmer, die Nr. 2, ist klein und wirkt auf den ersten Blick sonderbar altmodisch und modern zugleich.

Zimmer No.2

Entpuppt sich leider als kalt und damit werden die nassen Sachen wohl nicht trocknen und bei genauerer Betrachtung im Detail auch leider als lieblos und geflickschustert. Die Dusche ist sauber, doch Schimmelspray für die Fugen kann so teuer nicht sein, ein sich durchbiegendes 3mm Wandpanel ist keine Fensterbank und die Blümchenpolsterung des Bettes wirkte nur beim Betreten des Zimmers romantisch; auf den zweiten Blick war sie nur noch speckig und abstoßend. Ich breite mein eigenes Laken über das Bett und beschließe im Schlafsack zu übernachten. Stören tut mich die nicht funktionierende Heizung. Das ist ärgerlich, weil ich von einem Hotel, welches auf Wanderer spezialisiert ist, einfach so viel Aufmerksamkeit erwarte. Unten im Restaurant setze ich mich neben die Heizung, doch die Hoffnung auf Wärme wird auch hier enttäuscht. Ich bestelle einen Espresso und sehe zu, wie der kalte Kaffee aus der Kanne abgefüllt und dann in der Microwelle fix erwärmt wird. Das Internet ist leider nicht für Gäste und leicht sprachlos entsorge ich den Kaffee hinter mir im Blumenkübel. Der Trick war mir neu. Dann mache ich mich auf den Weg zurück über die hübsche Brücke, ziehe Geld am Automaten, schaue nach, wann das Büro du Tourisme wohl öffnen wird und setze mich in Dredi’s Cafe. Hier ist der Espresso perfekt, freies W-Lan gibt es auch, neben vielen Touristen kommt nach und nach das halbe Dorf vorbei und ich schreibe Postkarten und Tagebuch. Das Cafe, welches den Charme einer Spätverkaufsstelle hat, ist echt prima und ich kehre nach einem Spaziergang und einer Eselrunde wieder hierher zurück. 19 Uhr gibt es dann Abendbrot im Hotel. Die Tische sind wundervoll einfach und sehr ländlich eingedeckt, jeder zweite Hotelgast faßt auf die Heizung und schüttelt den Kopf. Nein, die Heizung geht nicht. Was hier zählt ist das Essen, es ist wieder ein Traum, und sonst nichts. Schade eigentlich. Aber eins muß man mal sagen – vielleicht hab ich es früher nur nicht bemerkt – die Franzosen sind irre nett (geworden). Narzisse bekommt einen Gutenachtkuß, Minuten später sinke ich erschöpft ins Bett und schaue auf die Postkartenkulisse, die sich mir vor meinem Fenster bietet. Le Ponte-de-Montvert ist ein wirklich hübsches Örtchen. Die berühmte Brücke mit dem Uhrenturm, vor dem der Anführer der rebellierenden Protestanten Esprit Séguier 1702 auf den Scheiterhaufen kam und hingerichtet wurde,

PontMontvert

glänzt im Schein der Lichter und der feine Regen unterstreicht die romantische Abendstimmung. Dann läuft ein Esel über die Brücke und verschwindet in einer kleinen Gasse auf der anderen Flußseite. Kaum vorstellbar, daß an einem so schönen Ort die Camisardenkriege begannen und sich die protestantische Landbevölkerung gegen die Unterdrückung des Glaubens auflehnte. Ludwig d. XIV. war einfach ein ganz schlimmer Despot und kümmerte sich einen Dreck um das Toleranzedikt von Nantes, worin Heinrich IV. die freie Religionsausübung längst anerkannt hatte. Nach und nach überzogen die Beamten des Königs das Land mit immer neuen Anordnungen und Vorschriften – die irgendwann niemand mehr befolgen konnte -, 1685 wurde das Toleranzedikt widerrufen und protestantische Gottesdienste bei Strafe verboten. Eine Politikform, die selten funktioniert und weil gerade in den Cévennen viele Protestanten ihrem Glauben treu blieben, setzte sich die Unterdrückungsmaschinerie in Gang. Nicht, weil es nicht anders gegangen wäre, sondern weil es nicht anging (und angeht), daß das Volk selber entscheidet. Die Folgen des mangelnden Anscheins innerbetrieblicher Demokratie waren (und sind) schon immer verheerend. Der König schickte Soldaten und die Camisarden, benannt nach ihren weiten Hemden, griffen diese immer wieder aus dem Hinterhalt an und brachten den königlichen Truppen empfindliche Niederlagen bei. Als letztes Mittel der sinnlosen Gewalt wurden die Cevennen auf Befehl des Königs 1704 regelrecht niedergebrannt. Über 400 Dörfer steckte man an – als wenn Gewalt Menschen von ihrem Glauben abhalten würde – und erst Ludwig XVI. gewährte den Protestanten wieder die Religionsfreiheit. Hatte ich da gerade einen Esel gesehen? Hellwach sitze ich im Bett und schaue nach draußen, doch keine Spur von einem Esel zu entdecken. Ist auch egal, denke ich mir und schließe die Augen.